Nachfolgend ein Beitrag vom 6.6.2016 von Bartone, jurisPR-SteuerR 23/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Der Frage der Übernahme von Feststellungen in einem Strafverfahren in einer anderen Sache in das finanzgerichtliche Verfahren kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
2. Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, unter welchen Umständen die in einem Strafverfahren getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden dürfen. Dies gilt auch für den Fall, dass das Strafurteil einen anderen Tatbeteiligten als den Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren betrifft.

A. Problemstellung

Der Beschluss betrifft die Frage, unter welchen Umständen ein Finanzgericht die in einem Strafverfahren getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren verwerten darf, ohne seine Pflicht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu verletzen und gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) zu verstoßen. Das besondere Problem in diesem Fall ergab sich daraus, dass das Finanzgericht nicht unmittelbar den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt übernommen und ihn steuerrechtlich gewürdigt hat, sondern aus den maßgeblichen, rechtskräftig festgestellten Tatsachen Rückschlüsse auf den im finanzgerichtlichen Verfahren streitigen Sachverhalt gezogen hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Gegenüber dem Kläger erließ das Hauptzollamt einen Tabaksteuer- und Zinsbescheid wegen des Verbringens von unversteuerten und unverzollten Zigaretten von Polen nach Deutschland. Grundlage hierfür waren die Ermittlungsergebnisse des Zollfahndungsdienstes, wonach der Kläger ausweislich der Auswertung seines Mobiltelefonanschlusses von einer Fahrt von Polen nach Deutschland zurückgekehrt war, wobei er mindestens 88.200 Stück Zigaretten mitgebracht hatte. Der hiergegen eingelegte Einspruch und die nachfolgende Klage hatten keinen Erfolg. Außerdem wurde der Kläger rechtskräftig wegen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 AO) verurteilt. Das Strafurteil betraf 464 Stangen Zigaretten, die nicht Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens waren, und berücksichtigte einen Zeitraum, in den die vorerwähnte Telefonüberwachung fiel. Hinsichtlich der im Finanzprozess betroffenen Zigaretten war das Strafverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

C. Kontext der Entscheidung

Die Finanzgerichte entscheiden gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO aus ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das setzt voraus, dass das Gericht seiner Pflicht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO nachgekommen ist und die ggf. erforderlichen Beweise erhoben hat. Aus § 81 Abs. 1 FGO ergibt sich der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wonach das Gericht sich die Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen grundsätzlich selbst verschaffen muss (vgl. z.B. BFH, Beschl. v. 01.10.2012 – V B 9/12 – BFH/NV 2013, 387; BFH, Beschl. v. 12.01.2016 – VII B 111/15 – BFH/NV 2016, 579).
Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt und ausnahmslos: Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH können die im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (BFH, Beschl. v. 19.01.2012 – VII B 88/11 – BFH/NV 2012, 761; BFH, Urt. v. 10.01.1978 – VII R 106/74 – BStBl II 1978, 311). Dies gilt auch für den Fall, dass Strafurteile andere Tatbeteiligte betreffen (BFH, Beschl. v. 24.05.2013 – VII B 155/12 – BFH/NV 2013, 1613). Der BFH hat diese Rechtsprechungsgrundsätze auch auf die Verwertung von Vernehmungsprotokollen des Steuerfahndungs- bzw. Zollfahndungsdienstes und anderer Dokumente übertragen (BFH, Beschl. v. 19.01.2012 – VII B 88/11 – BFH/NV 2012, 761; BFH, Beschl. v. 24.05.2013 – VII B 163/12 – BFH/NV 2013, 1615).
Die substantiierten Einwendungen des Klägers müssen sich dabei mit der letztinstanzlichen strafgerichtlichen Entscheidung auseinandersetzen: Wendet sich der Kläger z.B. mit einer Revision gegen das Strafurteil eines Landgerichts (Wirtschaftsstrafkammer) an den BGH und weist dieser das Rechtsmittel zurück, genügt es nicht, wenn der Kläger lediglich Einwendungen gegen die Feststellungen des Landgerichts erhebt bzw. vor dem Finanzgericht die vor dem BGH erhobenen Einwendungen (die letztlich rechtskräftig zurückgewiesen wurden) wiederholt (vgl. BFH, Urt. v. 23.04.2014 – VII R 41/12 – BStBl II 2015, 117; BFH, Urt. v. 23.04.2014 – VII R 42/12). Der pauschale Hinweis auf die Revisionsbegründung und die Behauptung, der BGH habe die im angefochtenen Strafurteil enthaltenen Widersprüche nicht vollständig behandelt, genügt demnach nicht, insbesondere wenn der Kläger die Ermittlung derjenigen Tatsachen rügt, auf die das Landgericht die Verurteilung gestützt hat – und darin vom BGH rechtskräftig bestätigt wurde – und die auch im Verfahren vor dem Finanzgericht maßgeblich sind.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung des BFH ist zu begrüßen. Die im Besprechungsfall maßgeblichen Fragen sind durch die gefestigte Rechtsprechung des BFH geklärt (vgl. aus jüngerer Zeit BFH, Beschl. v. 12.01.2016 – VII B 111/15 – BFH/NV 2016, 579). Gleichwohl werden sie in der finanzgerichtlichen Praxis immer wieder relevant, insbesondere – wie im Besprechungsfall auch – in Verbrauchsteuerverfahren, in denen die Steuerfestsetzung (TabSt, BranntwSt) einen strafrechtlichen Hintergrund hat. Vielfach versuchen die Steuerpflichtigen das Strafverfahren mit einem Deal aufgrund eines Geständnisses zu beenden, um die strafrechtlichen Folgen der Steuerhinterziehung möglichst zu minimieren. Dabei werden in den allermeisten Fällen die steuerrechtlichen Folgen nicht bedacht. Die Finanzbehörden setzen in aller Regel das Besteuerungsverfahren nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens fort und legen die dort getroffenen Feststellungen zugrunde. In aller Regel führen die gegen die entsprechenden Steuerbescheide erhobenen Klagen vor den Finanzgerichten nicht zum Erfolg, da die Klagebegründung vielfach lediglich darauf gestützt wird, dass die strafrechtlichen Feststellungen keine Bindungswirkung entfalteten, das Geständnis in der Hauptverhandlung nur aus strafprozesstaktischen Gründen erfolgt sei, etwaige Zeugen in der Hauptverhandlung gelogen hätten, um dem Steuerpflichtigen zu schaden, in Wahrheit aber gar keine Steuer hinterzogen worden sei und die Steuerfestsetzung jeglicher Grundlage entbehre. Diese und ähnliche Einlassungen vermögen der finanzgerichtlichen Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dies wird vielfach von Strafverteidigern, die auch das finanzgerichtliche Verfahren als Bevollmächtigte begleiten, nicht beachtet.
Im Besprechungsfall hat der BFH klargestellt, dass die Verwertung von (rechtskräftigen) strafgerichtlichen Feststellungen auch insoweit in Betracht kommt, als sie zwar einen anderen Sachverhalt betreffen, aber Rückschlüsse auf den im finanzgerichtlichen Verfahren maßgeblichen Sachverhalt zulassen.