Zunächst sollen auch hier die einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches wiedergegeben werden:
§ 34 StGB (Rechtfertigender Notstand)
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
§ 35 StGB (Entschuldigender Notstand)
(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.
(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
Einen rechtfertigenden Notstand hat beispielsweise das AG Mannheim (3 Ls 310 Js 5518/02-AK 74/04) in einem Urteil vom 19.1.2005 zu Anbau und Besitz von Betäubungsmitteln zur Schmerzlinderung angenommen. Der BGH hat in einem Fall, in dem zum Schutz seiner Familie der Täter einen DDR-Grenzschützer erschossen hat, keinen entschuldigenden Notstand angenommen, diesen vielmehr wegen Mordes verurteilt:
„Freilich bestand in der Tatsituation gegenwärtige Gefahr für die Freiheit des Angeklagten und für die seiner Familie. Es war ihm aber trotz der schwer erträglichen Trennungssituation für seine Familie und vor dem Hintergrund menschenrechtswidriger Versagung von Ausreisefreiheit gleichwohl zuzumuten, die Gefahr im Blick auf die Bedeutung des Lebensrechts des betroffenen Grenzpostens insoweit hinzunehmen, als er sie nicht durch dessen vorsätzliche Tötung abwenden durfte (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB). Von einer solchen Tötung mußte er Abstand nehmen, nachdem er sich mit schußbereiter Waffe in Kenntnis aller Risiken in die vorhergesehene Konfliktsituation mit einem bewaffneten Grenzposten begeben hatte.“
In diesem Zusammenhang zur Erwähnung gelangen müssen noch zwei weitere Rechtfertigungsgründe, die strafrechtliche Relevanz haben, aber aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) stammen, der sog. Angriffsnotstand und der sog. Verteidigungsnotstand:
§ 904 BGB (Notstand)
Der Eigentümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist. Der Eigentümer kann Ersatz des ihm entstehenden Schadens verlangen.
§ 904 BGB beruht auf dem Aufopferungsgedanken: Der Eigentümer einer Sache, die mit der Gefahrenquelle in keiner Beziehung steht, muss eine erforderliche Einwirkung auf seine Sache hinnehmen. Zum Ausgleich wird ihm ein Schadensersatzanspruch gewährt, der die Rechtmäßigkeit des Eingriffs aber nicht berührt. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung ist § 904 BGB auch strafrechtlich ein Rechtfertigungsgrund. Der Aggressivnotstand wird auch Angriffsnotstand genannt.
§ 228 BGB (Notstand)
Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Hat der Handelnde die Gefahr verschuldet, so ist er zum Schadensersatz verpflichtet.
§ 228 BGB ist wiederum eine zivilrechtliche Regelung, die festlegt, dass die Einwirkung auf eine Sache, von der eine Gefahr ausgeht, nicht rechtswidrig ist – auch dann nicht, wenn der Eingreifende die Gefahr verschuldet hat. Er ist im letzteren Fall dann aber zum Schadensersatz verpflichtet. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung ist § 228 BGB ebenso ein strafrechtlich bedeutsamer Rechtfertigungsgrund. Der Defensivnotstand wird auch Verteidigungsnotstand oder Sachwehr genannt.
Zuletzt soll noch der sog. übergesetzliche entschuldigende Notstand Erwähnung finden. Dieser kommt insbesondere dann in Betracht, wenn eine dem §35 StGB vergleichbare Situation vorliegt, der Täter aber nicht zur Rettung einer ihm angehörigen oder nahestehenden Person handelt.