§ 1 Gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen

(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Anordnungen sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Das Gericht kann insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt,

1.die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
2.sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten,
3.zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält,
4.Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
5.Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen,

soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit widerrechtlich gedroht hat oder
2.eine Person widerrechtlich und vorsätzlich
a)in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder
b)eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.

Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 Buchstabe b liegt eine unzumutbare Belästigung nicht vor, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.


Rechtsprechungsbeispiele zu dieser Vorschrift:

BGH · Beschluss vom 26. Februar 2014 · Az. XII ZB 373/11Nach diesen Maßgaben kann die Verpflichtung zur Aufgabe einer nicht gemeinsam genutzten Wohnung Gegenstand eines Anspruchs eines Gewaltopfers gegen einen Täter entsprechend § 1004 BGB und demzufolge auch Inhalt einer Anordnung nach § 1 GewSchG sein, wenn sich eine solche Anordnung als rechtlich nicht zu beanstandendes Ergebnis der einzelfallbezogenen Abwägung der kollidierenden Grundrechte von Gewaltopfer und -täter als verhältnismäßig darstellt.

BGH · Beschluss vom 28. November 2013 · Az. 3 StR 40/13Die historische Auslegung des § 4 GewSchG führt zu einem eindeutigen Ergebnis. Danach ist das über die Strafbarkeit befindende Gericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden. Es hat vielmehr selbst die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 GewSchG festzustellen und die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung zu bewerten. Hieran hat sich entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts im Ergebnis nichts dadurch geändert, dass für die Anordnung nach § 1 GewSchG nunmehr die Regelungen des FamFG maßgebend sind. Die Interpretation des § 4 GewSchG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie seiner systematischen Stellung führt ebenfalls zu keinem anderen Resultat.

OLG Hamm · Beschluss vom 25. April 2013 · Az. 2 UF 254/12Schutzmaßnahmen nach § 1 GewSchG sind grundsätzlich zu befristen. Bei der Bestimmung der Frist sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Bei entsprechender Schwere der Drohung oder wiederholten, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Verletzungshandlungen können auch längerfristige Schutzmaßnahmen getroffen werden. Allein in Ausnahmefällen, etwa bei Vorliegen besonders schwerer Gewaltdelikte oder der Unzumutbarkeit des Umgangs des Opfers mit dem Täter, kann eine unbefristete Gewaltschutzanordnung gerechtfertigt sein.

OLG Frankfurt am Main · Beschluss vom 15. Mai 2012 · Az. 4 WF 115/12Im vorliegenden Fall war das von der Antragstellerin vorgetragene kurzzeitige Festhalten am Arm allenfalls mit einer geringfügigen Beeinträchtigung ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit verbunden, die für den Tatbestand der Freiheitsverletzung nicht ausreicht. Soweit das Verhalten der Antragsgegnerin den Tatbestand der Nötigung erfüllt, ist die Antragstellerin – wie dargestellt -auf ihren allgemeinen Unterlassungsanspruch zu verweisen. Diesen mag sie in dem ohnehin abgetrennten und an das Zivilgericht verwiesenen Verfahren betreffend die Unterlassung ehrverletzender Aussagen verfolgen. Den Erlass einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz rechtfertigt er aus den oben genannten Gründen nicht.

OLG Celle · Beschluss vom 19. März 2012 · Az. 10 UF 9/12Eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz dient nicht der Durchsetzung beliebiger anderweitig gesetzlich angeordneter oder sonst wünschenswerter Verhaltensweisen im persönlichen Nahbereich, sondern ist beschränkt auf eben die in den §§ 1 und 2 GewSchG genannten qualifizierten Fälle, deren Vorliegen im Einzelfall positiv festgestellt werden muß.2. § 1 Abs. 2 Nr. 2 lit. a GewSchG setzt ein erfolgtes Eindringen in die Wohnung oder das befriedete Besitztum voraus; ein Versuch ist nicht ausreichend (Bestätigung von AG Flensburg – Beschluß vom 21. Januar 2004 – 94 Fa 8/04 – NJOZ 2005, 270 f. = ZfJ 2005, 38 = ZKJ 2006, 476).