KG Berlin, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 Ws 87/16, 3 Ws 87/16 – 141 AR 96/16 –, juris

Orientierungssatz

1. Ob ein Beschuldigter im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falls.

2. Bei einem Drogenabhängigen mit polytoxem Abhängigkeitsmuster versteht es sich nicht von selbst, dass er verteidigungsunfähig ist. Als Indiz hierfür wäre es zu bewerten, wenn er unter Betreuung stünde.

Aus den Gründen

Die Verteidigungsfähigkeit eines Beschuldigten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falls (vgl. OLG Nürnberg StRR 2014, 242 [Volltext bei juris] mwN; KG StV 1985, 449). Bei körperlichen, geistigen und seelischen Gebrechen kommt es jeweils auf den Grad der Behinderung und die sonstigen Umstände des Falles an (vgl. KG StV 1985, 449; Senat, Beschluss vom 14. August 2006 – 3 Ws 416/06 -; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 140 Rn. 30, mwN). Als Indiz für eine mögliche Verteidigungsunfähigkeit ist es zu bewerten, wenn der Beschuldigte unter Betreuung steht (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 – 3 Ws 49/13 -; OLG Hamm, NJW 2003, 3286; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 140 Rn. 30 mwN).9

bb) Nach dieser Maßgabe erscheint der Angeklagte – nach gegenwärtiger und auf Aktenlage basierender Einschätzung des Beschwerdegerichts – nicht unfähig, sich selbst zu verteidigen. Der drogenabhängige Angeklagte war im ersten Rechtsgang nicht verteidigt, ist aber zum Hautverhandlungstermin am 15. September 2015, zu dem er bereits mehr als zwei Monate zuvor geladen worden war, erschienen. Er hat binnen Wochenfrist und damit rechtzeitig schriftlich das zulässige Rechtsmittel, die Berufung, eingelegt. Zeitgleich hat er eingewandt, in erster Instanz sei ein wichtiger Zeuge übergangen worden. Er hat diesen sodann namentlich bezeichnet und beantragt, dass der Zeuge in der Berufungshauptverhandlung geladen werden solle. Die Drogenberatungseinrichtung „vista“ hat zwar bekundet, der Angeklagte zeige ein polytoxes Abhängigkeitsmuster, aber zugleich die hohe Abstinenzmotivation des Probanden und seine Zuverlässigkeit in der Zusammenarbeit dargetan.