OLG Hamm, Urteil vom 29. September 2010 – 11 U 367/09, I-11 U 367/09 –, juris

Orientierungssatz

1. Eine gemeinschaftliche Haftunterbringung ist  nach ständiger Rechtsprechung des Senats jedenfalls dann als menschenunwürdig und daher als eine entschädigungspflichtige Amtspflichtverletzung (Entschädigungsanspruch) anzusehen, wenn den gemeinschaftlich untergebrachten Gefangenen im Haftraum eine Grundfläche von weniger als 5 m² pro untergebrachtem Gefangenen zur Verfügung steht. Gleiches gilt bei ungenügender sanitärer Ausstattung des Haftraums wegen fehlender baulicher Trennung der im Haftraum installierten Toilette (vgl. OLG Hamm, 18. Februar 2009, 11 U 88/08=VersR 2009, 1966).

2. Die Zubilligung einer Geldentschädigung ist nicht zwangsläufige Folge einer Menschenrechtsverletzung, sondern erfordert daneben, dass die so genannte Erheblichkeitsschwelle überschritten ist. Hiervon kann im Falle menschenunwürdiger gemeinschaftlicher Haftunterbringung in der Regel erst ausgegangen werden, wenn die hierin liegende Verletzung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts von einiger Dauer war, wobei der Senat von einem Zeitraum von mindestens 14 Tagen  ausgeht.

3. Bei der Frage, ob der unterlassene Verlegungsantrag des Gefangenen an die Anstaltsleitung im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens Erfolg gehabt hätte,  kommt es nicht darauf an, ob das Land zur fraglichen Zeit in der Lage war, allen vergleichbar untergebrachten Gefangenen einen menschenwürdigen Haftraum zur Verfügung zu stellen. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob das im konkreten Fall bezogen auf den Gefangenen unter Berücksichtigung anstehender Entlassungen möglich gewesen wäre (vgl. BGH, 11. März 2010, III ZR 124/09=VersR 2010, 811).

4. Rechtsmittel, die gemäß § 839 Abs. 3 BGB zum Verlust des Amtshaftungsanspruchs führen, wenn von ihnen schuldhaft kein Gebrauch gemacht wird, sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden dadurch abzuwenden oder zu mindern, dass dieses schädigende Verhalten beseitigt oder berichtigt wird. Dazu gehören auch Verlegungsanträge des Strafgefangenen an die Anstaltsleitung sowie Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109, 114 StVollzG.

5. Die Nichtergreifung eines zur Verfügung stehenden Rechtsmittels  und damit auch das Unterlassen von Anträgen nach §§ 109 ff. StVollzG ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats regelmäßig als schuldhaft anzusehen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn dem Gefangenen durch Bedienstete der JVA die Aussichtslosigkeit eines Antrags überzeugend vermittelt worden ist.

6. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Betroffene den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte abwenden können, trägt der in Anspruch genommene Schädiger.