Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. In losen Abständen veröffentlichen wir hier einige seiner informativen und gleichermaßen humorvollen Beiträge und Kolumnen. Viele zeichnen sich durch Erinnerungen an (nicht nur) seine Kindheit oder aktuellen Beispielen aus Politik und Zeitgeschehen aus und lassen die in diesem Zusammenhang „gezeichneten“ Bilder klar vor Augen erscheinen – mit einem Wort: lesenswert!


Die Welt ist voller Überraschungen und voll von Geld. Sind Sie sicher, dass das Geld in Ihrer Tasche wirklich Ihnen gehört? Täuschen Sie sich nicht!

13. Oktober 2015, 16:27 Uhr

Tabula rasa

In der vergangenen Woche hat diese Kolumne einmal mehr gänzlich unbeabsichtigt diverse Gruppen der lesenden Bevölkerung in Aufruhr versetzt. Der Kommentator erörterte – lesen Sie es nach! – die Umsiedlung von 80 Millionen afrikanischen Gnus nach Süddeutschland, insbesondere natürlich Bayern. Über die Gnu-Wanderungen von Tansania nach Kenia und zurück hat schon Heinz Sielmann uns beeindruckende Dokumentationen hinterlassen: Diese Antilopen weichen ungern vom einmal eingeschlagenen Wege ab. Sie versuchen daher, einmal in Stimmung gekommen, bei der Durchquerung des Mara-Flusses Steilufer selbst dann zu überwinden, wenn ihnen dies – deren Höhe wegen – sportlich überambitioniert und strategisch ungünstig hätte erscheinen müssen. Unten liegen dicht an dicht fünf Meter lange Krokodile und warten.

Sie wissen, liebe Leserinnen und Leser, was jetzt folgt: ein Gemetzel, das jeder Beschreibung spottet. Herausgerissene Därme, verdrehte Kuhaugen, spritzendes Blut. Ein See von Blut und Gier und Verzweiflung. Was lernen wir daraus? Das Gnu lebt, wandert, leidet und tut sein Bestes. Das Krokodil tut sein Bestes auch. Es kommt nicht auf den Einzelfall an, sondern auf die große Linie. Das ist wie bei den Flüchtlingen. Wir kommen darauf zurück.

Geld

Nun zum Geld. Woher es kommt, ist klar: vom Staat. Niemand anders darf Geld herstellen, abgesehen von ein paar Chips oder Credits oder Teilhabescheinen. Geldfälschung ist ein Verbrechen und wird mit Strafen bedroht (Paragraf 146 Strafgesetzbuch), die weit höher sind als diejenigen für Fälschung von Schecks oder anderen Urkunden. Über die Geldmenge, die „in Umlauf“ ist, versuchen die Staaten, wirtschaftliche Prozesse zu lenken, also einerseits die Produktion von geldwerten Waren und Dienstleistungen, andererseits deren Verbrauch. Das fällt immer schwerer, je mehr unabhängige Subjekte mit eigenen Interessen unterwegs sind: andere Staaten, Unternehmen, Konsumenten. Der Eindruck, die Gesamtheit gleiche einem Ameisenhaufen, täuscht, weil die meisten Ameisen wissen, was sie tun, die meisten Menschen aber nicht genug über die Ameisen wissen. Stellen Sie sich lieber eine riesengroße Maschinenskulptur von Jean Tinguely vor (und besuchen Sie alle zwei Jahre das Tinguely-Museum in Basel!).

Wie Sie wissen, ist Geld zwar das „allgemeine Äquivalent“ – also eine Ware, die sich gegen alle anderen Waren eintauschen lässt. Aber nicht alles Geld repräsentiert solche Waren/Produkte/Leistungen. Der bei weitem größte Teil des heute existierenden Geldes findet in der realen Welt überhaupt keinen Gegenstand mehr, den es repräsentieren könnte: Es symbolisiert nur mehr sich selbst, also nichts, oder sagen wir: einen Zahlenwert. Man könnte auch alle Kieselsteine der Erde zu „Geld“ erklären.

Wirkliches Geld wird gemacht von staatlichen oder staatlich kontrollierten Druckereien und Münzprägeanstalten. Dort druckt man Banknoten und stanzt Taler oder Euros oder was auch immer. Unwirkliches Geld, Buchgeld, entsteht durch Kreditschöpfung. Eine Bank darf zehnmal mehr als ihren eigenen Wert an Krediten ausreichen. Geld entsteht hier also, indem eine Forderung entsteht, weil diese – grundsätzlich – in Geld bezahlt werden muss. Einen Sinn macht das nur, wenn nicht allein der Kredit zurückbezahlt werden muss, sondern auch ein Zins, also ein Zuschlag für das „Ausleihen“, erhoben werden kann. Der Ausleiher muss diesen Zins „erwirtschaften“, indem er mehr arbeitet, mehr produziert (oder andere über den Tisch zieht; aber das gleicht sich gesamtgesellschaftlich dann wieder aus). Das ganz große Rad drehen die Zentralbanken. Sie erschaffen Geld, indem sie Staaten Kredite gewähren (das nennt man: Staatsanleihen kaufen).

In der realen Welt fällt das den Menschen im Alltag nicht auf. Sie denken, Geld sei wertvoll, knapp und erstrebenswert. Selbst dann, wenn es wie Schnee vom Himmel fällt und alle Vernunft unter sich begräbt. Das Geld dieser Welt – ohne reale Werte – hat sich in zehn Jahren verdreifacht. Die Notenbanken erfinden pro Monat 50 oder 100 oder 200 Milliarden Euro, um die „Stimmung“ der „Anleger“ anzuregen, doch einen Kredit (zu Fast-Nullzinsen) aufzunehmen und irgendetwas Essbares damit hervorzubringen. Doch ach: Die „Anleger“ nehmen all das Geld und investieren es in sich selbst: In die Anteilsscheine an ihren eigenen Unternehmen oder in einen Wohnwagenpark in Illinois oder ein Schrotthotel in Hoyerswerda. Ist doch egal, solange man einen findet, der morgen einen Euro mehr für denselben Schrott bezahlt und einen entsprechenden Kredit kriegt. Das ist jetzt, sehr geehrte Chefvolkswirte, natürlich sehr einfach dargestellt, aber für unsere Zwecke reicht es.

Geld und Strafgesetz

Warum begeht ein Mensch Straftaten? Manchmal, weil ihm danach ist, egal warum. Meistens aber hat er einen Grund: die Liebe, die Leidenschaft, der Hass, die Rache. Damit ist allerdings nur ein sehr kleiner Teil beschrieben. Der weitaus größte Teil besteht aus der Motivation, sich im Kampf der Krokodile Vorteile zu sichern, die nicht vorgesehen sind: Mehr Fressen, mehr Luxus, mehr Leben. Daher geht es bei der Mehrzahl der Straftaten nicht ums Gewissen, sondern ums Fressen: sprich ums Geld. Und hieraus entsteht wiederum neues Geld. Ganz spezielles: blutiges, verdorbenes, illegales, geheimes Geld.

Wie viel „Drogengeld“ entsteht in Deutschland?

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Kriminal-Leben: 10 Kilogramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 100 Prozent machen sich auf ihren beschwerlichen Weg von Kolumbien nach Berlin. Sie kosten beim Hersteller fast nichts. Den Importeur in Berlin – er ist wahrscheinlich schon die vierte Handelsstufe – kostet das Kilo, wenn er zehn kauft, vielleicht 20.000 Euro – nehmen wir idealerweise an: noch immer mit 100 Prozent Wirkstoff. Den Endverbraucher kostet das Gramm 70 Euro. Der Kleindealer, der es ihm verkauft, kauft selbst 50-Gramm-weise ein für jeweils 2.500 Euro, also 50 Euro pro Gramm vom Zwischenhändler. Dieser kauft dem importierenden Großhändler (siehe oben) das Kilo für 35.000 Euro ab, also das Gramm für 35 Euro. Diese Rechnung ist sehr zurückhaltend konzipiert; es können leicht eine oder zwei Handelsstufen dazukommen.

Auf jeder Stufe wird das Kokain gestreckt (etwa mit Zucker, Kreatin, Koffein, Lidocain, Benzocain) und somit betrogen. Der Großhändler verkauft nicht 10 Kilos mit 100 Prozent Reinheit, sondern 15 Kilos mit 66 Prozent. Die Zwischenhändlerstufe verkauft nicht 15 Kilos, sondern 20 kg mit 50 Prozent. Die Kleinhändler machen aus den 20 Kilos glatt 30 mit nur noch 33 Prozent Wirkstoff (Kokainhydrochlorid).

Rechenaufgabe: Wie viel „Drogengeld“ entsteht in Deutschland? Großhandel/Importeur erhält vom Zwischenhandel: 15 x 35.000 Euro; Zwischenhandel erhält vom Kleinhandel: 400 x 2.500 Euro; Kleinhandel erhält vom Verbraucher: 30.000 x 70 Euro. Das sind zusammen 3.625.000 Euro.

Das waren jetzt 10 Kilogramm Kokain. Wie viel tatsächlich verbraucht wird, weiß selbstverständlich niemand genau. Die Sicherstellungszahlen der Polizei sind als Anhaltspunkt völlig untauglich; sie geben nur Auskunft über deren eigene Aktivitäten (siehe Kolumne: Kriminalstatistik). Sehr viel interessanter und aufschlussreicher hingegen sind Abwasseruntersuchungen auf Rückstände. Danach verbrauchen etwa 38 Millionen Rhein-Anrainer an die 11 Tonnen Kokain pro Jahr. Hochgerechnet auf Deutschland sind das, sagen wir, 25 Tonnen. Nach den oben dargestellten Zahlen ergeben sich daraus 2.500 x 3,5 Millionen, also 8,75 Milliarden Euro.

So viel zum Kokain. Jetzt rechnen wir das Ganze nochmal für Heroin durch, für Amphetamin in allen Formen (einschließlich Chrystal Meth) und dann noch für Cannabis (mit allein 2,5 Millionen regelmäßigen Konsumenten). Wir kommen, liebe Leser, locker auf 30 Milliarden Euro „Drogengeld“ pro Jahr.

Exkurs 1: War on Drugs

Wie Sie wissen, sind unsere amerikanischen Freunde große Anhänger großkalibriger Worte und einer alles umspannenden Kriegsbereitschaft. Man kämpfte dort noch mit Maschinengewehren gegen den teuflischen Whiskey (siehe: Die Unbestechlichen), als im Rest der Welt buchstäblich jede Straßenecke für eine Kneipe reserviert war. (Im Sauerland, dem Ort, an welchen dem Kolumnist die Welt erschien, gab es im Jahr 1970 pro 200 Einwohner eine Kneipe – die Verkaufsstellen für Flaschenbier nicht gerechnet). Deshalb gibt es seit vierzig Jahren einen „Krieg gegen Drogen“. Er ist, wie Sie wissen, unglaublich erfolgreich, insbesondere in Süd- und Mittelamerika, Afghanistan und anderen Herkunftsländern schrecklicher Substanzen, die unsere Kultur zersetzen wollen. Wie wir täglich lesen, gibt es inzwischen praktisch keine Drogenkartelle mehr auf der Welt, keine von ihnen abhängigen Regierungen, keine Gewalt und kein Elend. Afghanistan ist frei! Der Bauer des Hindukusch (das ist ein kleiner Berg hinter Kundus) pflanzt „Sieglinde“, die gute deutsche Kartoffel, vorwiegend festkochend, oder jedenfalls Mais, denn der kommt praktisch ohne Wasser aus. Daraus machen wir a) Kartoffelchips „Tali“ (extra scharf) oder b) Popkorn „Kundus“, mit exotischen Geheimgewürzen und einer original 7,65-Hülse in jeder Packung (streng limitierte Auflage).

Scherz beiseite: Der „War on Drugs“ ist ungefähr so ein Desaster wie der „War on Terror“, wird aber mit eiserner guter Laune seit Jahrzehnten weiter durchgezogen, obgleich nichts dabei herauskommt als immer größere Drogenmengen, immer mehr Gewalt und Korruption. Das Letzte, was erreicht wird, ist der Schutz unserer Jugend vor Drogen. Sicher ist nur, dass die Prohibitionskultur Unmengen von Geld kostet und unermessliche Geldströme hervorbringt.
Kann man die Geldwäsche ausmerzen?

Exkurs 2: Supermans Superidee

Zum Glück hat eine Task Force der Weltpolizei unter Führung des amerikanischen Präsidenten (selbstverständlich gespielt von Tom, dem Erleuchteten, Cruise) bei der Suche nach letzten Lücken im extrem erfolgreichen Konzept vor etwa dreißig Jahren die Superlösung gefunden, indem sie eine Superidee hatte. Die geht so:

1) Denk nach: Warum stiehlt der Dieb, raubt der Räuber, dealt der Dealer?: Wegen Geld. Weil er gierig ist auf die Kohle.

2) Was bringt den schlauen Verbrecher dazu, keine Verbrechen mehr zu begehen?: Entweder ein zu hohes Risiko, erwischt zu werden, oder die Aussicht, keinen Gewinn zu machen.

3) Wie verhindern wir das Verbrechen? Indem wir den Verbrechern das Geld wegnehmen.

Also machen wir mal ein: Gesetz gegen „Geldwäsche“. Das ist eine komplizierte Sache, die aber im Ansatz ganz simpel ist: Der Dealer X kriegt Drogengeld, der Räuber Y geraubtes Geld, der bestochene Beamte Z Schmiergeld. Die Idee ist: Wenn wir all dieses kriminelle Geld aus dem Verkehr ziehen und in den Höllenschlund werfen, dann werden die Dealer und Räuber und Bestecher keinen Grund mehr haben, Straftaten zu begehen. Anders und staatstragend gesagt: Wenn man die Ergebnisse von Straftaten „verkehrsunfähig“ macht, entzieht man den Taten ihr Motiv und damit ihren Grund. Dann könnten wir uns wieder auf das konzentrieren, was wir wirklich draufhaben: Aggressionstaten von Dummköpfen.

Geldwäsche

Jetzt fragt sich bloß: Wie anstellen? Unser amerikanischer Freund hat auch hierauf eine Antwort gehabt: Bestrafe „Geldwäsche!“, sprach er. Geldwäsche ist das Haben oder Erwerben oder Weitergeben oder Verstecken von Geld, das aus irgendeiner Straftat stammt. Wenn nun alle, die so etwas tun, bestraft werden, tun sie es natürlich nicht mehr. Dann sitzen die Verbrecher auf ihren Talern wie Dagobert Duck, können sich aber nichts mehr dafür kaufen. So einfach kann man die Welt vom Bösen befreien. Also gründete man ungefähr 20 Agenturen, Behörden, Zentral- und Oberstellen, mit unglaublich viel Personal und furchterregenden amerikanischen Abkürzungen, um die Welt von der Geldwäsche und by the way vom Drogenhandel und vom Terrorismus zu erlösen.

Und so kam es, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat-Gipfel von Tampere feierlich gelobte, „die Geldwäsche auszumerzen, wo immer sie sich zeigt“. Das war im Jahre 1999 nach Christi Geburt, also vor unvordenklicher Zeit, und man „rang“ dort, nebenbei bemerkt, wieder einmal sehr um „die Asylpolitik“. Die Geldwäsche wurde mehr so nebenbei ausgemerzt.

Mit dem Ausmerzen ist es – wem sage ich das! – nun so eine Sache in Deutschland. Aber es geht. Da braucht man erst mal einen Plan, und dann ein Gesetz, und dann ein paar Ausführungsbestimmungen, dann läuft die Sache. Das wäre doch wohl gelacht, wenn es der deutschen Verwaltung nicht gelänge, das Verbrechen auszumerzen!

Schon seit 1992 haben wir in unserem Strafgesetzbuch den Paragraf 261. Trotz seiner Jugendlichkeit ist er der meist geänderte Paragraf des ganzen 140 Jahre alten Gesetzes: Eine Änderung pro Jahr ist praktisch Pflicht; ab drei Änderungen jährlich wird es rekordverdächtig. Warum das so ist, ist klar: Jedes Jahr fallen dem scharf nachdenkenden Gesetzgeber ein oder zwei neue Verbrechensarten ein, die er auch gern „ausmerzen“ würde, und die müssen dann in den Paragraf 261 aufgenommen werden. So ist aus dieser Vorschrift über die Jahre ein mäanderndes Monstrum geworden, das niemand auf der ganzen weiten Welt aus dem Gedächtnis fehlerfrei aufsagen könnte: Sie hat neun Absätze mit insgesamt 720 Worten und 4.300 Zeichen (Stand heute). Ich will sie hier nicht ganz wiedergeben (lesen Sie sie nach in „Gesetze im Internet“!) sondern nur den Kern zitieren:

Absatz 1 Satz 1: „Wer einen Gegenstand, der aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen Tat herrührt, verbirgt, dessen Herkunft verschleiert oder die Ermittlung der Herkunft, das Auffinden, den Verfall, die Einziehung oder die Sicherstellung eines solchen Gegenstandes vereitelt oder gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Dann folgt der spannende Satz 2, der all jene Straftaten aufführt, aus denen ein Gegenstand „herrühren“ kann. Es sind, glauben Sie mir, dank ständiger Ergänzungen so viele, dass man sie kaum mehr zählen kann.

Betäubungsmittelhandel gehört dazu, Betrug, Untreue, Diebstahl, Bestechung, und vieles mehr. Besonders bemerkenswert ist auch Satz 3:

„für die durch die Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen und unrechtmäßig erlangten Steuererstattungen und -vergütungen sowie in den Fällen des Satzes 2 Nr. 3 auch für einen Gegenstand, hinsichtlich dessen Abgaben hinterzogen worden sind.“

Bemerken Sie den Unterschied? Satz 3 stellt nicht nur die Steuerhinterziehung den Verbrechen des Satzes 2 gleich, sondern erfasst als „Gegenstand“ im Sinn von Satz 1 (also als Gegenstand der Geldwäsche) auch „einen Gegenstand, hinsichtlich dessen Abgaben hinterzogen worden sind“ – also ganz legale Gegenstände, die keineswegs aus Straftaten herrühren, sondern auf die sich eine Straftat (Steuerhinterziehung) nur bezieht. Das sind zum Beispiel Häuser, Fabriken, Maschinen, Lastwagen, ganze Unternehmen – schlicht alles, „hinsichtlich dessen“ man gewerbsmäßig (also wiederholt und in Gewinnerzielungsabsicht) Abgaben hinterziehen kann.

Wir haben alle Schwarzgeld in der Tasche

Es folgt dann der bedeutende Absatz 2, der mitten hinein ins Leben trifft:

Absatz 2: Ebenso wird bestraft, wer einen in Absatz 1 bezeichneten Gegenstand

1. sich oder einem Dritten verschafft oder
2. verwahrt oder für sich oder einen Dritten verwendet, wenn er die Herkunft des Gegenstandes zu dem Zeitpunkt gekannt hat, zu dem er ihn erlangt hat.

Absatz 3: Der Versuch ist strafbar.

Absatz 5: Wer in den Fällen des Absatzes 1 oder 2 leichtfertig nicht erkennt, dass der Gegenstand aus einer in Absatz 1 genannten rechtswidrigen Tat herrührt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Und dann, unvermeidlich, Absatz 7:

Absatz 7: Gegenstände, auf die sich die Straftat bezieht, können eingezogen werden.

Haben Sie das verstanden, Leserinnen und Leser? Geben Sie nicht zu früh auf! Es handelt sich um deutsche Sprache; sie ist weniger fachspezifisch als jede andere Berufssprache – man kann es verstehen. Es ist überdies für Sie (ja, für Sie, Bürger!) gemacht: Denn es handelt sich um ein Strafgesetz, das jeder Bürger kennen und beachten muss. Wenn nicht, siehe oben: „…bis zu fünf Jahre“.

Rapp, zapp! So geht das in Deutschland. Der Deutsche weiß es und hält sich dran. Ein deutscher Abendländer, ein Dresdner aller Bundesländer, kennt das deutsche Strafgesetz wie seine Westentasche. Der Flüchtling muss es erst noch lernen.

Auf kurze Fälle zusammengefasst: Wenn Ihnen ein Mensch einen 20-Euro-Schein als Wechselgeld gibt und Sie grob fahrlässig nicht erkennen, dass mit diesem Schein früher bereits einmal Kokain bezahlt wurde, werden Sie mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft (Abs. 5) und der Zwanziger ist auch futsch (Abs. 7). Wenn sie beim Gebrauchtwagenkauf leichtfertig nicht bemerken, dass hinsichtlich des Lkw, den Sie kaufen, einmal Umsatzsteuer hinterzogen wurde, werden Sie auch bestraft, und der Lkw wird entschädigungslos eingezogen.

Jetzt müssen Sie nur noch wissen, was „Herrühren“ im Sinne von Absatz 1 bedeutet, denn da steckt die ganze Schlauheit des Gesetzgebers. Ein „Gegenstand“ (das ist jedes erdenkliche Etwas: Geld, Forderungen, Bankkonto, Haus, Waren …) rührt aus einer Straftat schon dann her, wenn er teilweise mit Mitteln bezahlt wurde, die aus der Tat stammen. Der Teil, der erforderlich ist, wird unterschiedlich beziffert: Manche sagen 25 Prozent, die meisten sagen fünf Prozent, manche sagen, schon ein Prozent reicht. So werden aus einer Million Euro Drogengeld 20 Millionen „kontaminiertes“ Geld, das nun „Gegenstand“ der Geldwäsche ist. Wenn Ihnen Geld von einem Girokonto überwiesen wird, reicht schon die Teil-Kontaminierung jenes Kontos, um auch Ihr eigenes Konto zu vergiften.

Rechtstreue

Was bedeutet das? Dies zu beantworten, ist eine schwierige Aufgabe, die uns in Sphären entführt, von denen wir eben noch dachten, sie seien den Cannabis- und Opiumhöhlen unserer Unterwelt zuzuordnen: Phantastische Illusionen, Unvorstellbare Erscheinungen, albernste Regressionen, magische Rituale!

Ganze Stadtviertel wurden aus diesen Geldern errichtet

Nimm, Bürger, die 30 Milliarden Euro „Drogengeld“ pro Jahr und Deutschland. Nimm die Summe aller Straftaten dazu, die in den anderen Ziffern von Absatz 1 Satz 2 aufgeführt sind, und veranschlage sie in äußerster Bescheidenheit auf weitere 50 Milliarden. Nun nimm einen Kontaminierungsgrad von fünf Prozent an. Das führt zu Geldwäsche – „Gegenständen“ im Wert von 50 x 20 Milliarden, also einer Billion Euro pro Jahr. All dies, und noch viel mehr, liebe Bürgerinnen und Bürger, sind „Gegenstände“ im Sinn von Absatz 1 Satz 1 und Abs. 3 und Abs. 5 des Paragrafen 261 StGB.

Dazu kommt natürlich ein gewisser Rückstau: Man kann nämlich beim besten Willen nicht sagen, dass in den vergangenen dreißig Jahren das Programm der „Ausmerzung“ schon so richtig erfolgreich war: Die Verbrecher haben, wie wir der Tagespresse entnehmen können, noch immer nicht resigniert. Und auch nicht umgeschult, weil sich ihr Job nicht mehr lohnt. Genauer gesagt: Die Anzahl der Verurteilungen wegen Geldwäsche ist lächerlich gering. Selbst unter Einsatz kompliziertester Melde- und Überwachungspflichten nach dem „Geldwäschegesetz“ werden jedes Jahr gerade mal ein paar Millionen gefunden.

Das heißt: Die jährlich 50 Milliarden (die Polizei schätzt auch gerne mal: 100 Milliarden) aus den letzten dreißig Jahren sind fast vollständig noch da. Sie haben sich über viele Jahre mit dem legalen Geld vermischt und die Gesamtgeldmenge durchseucht. Ganze Stadtviertel sind aus Drogengeld oder Geld aus Menschenhandel oder Erpressung errichtet, Zehntausende Restaurants betrieben, Hundertausende von Autos gekauft worden. Und dann denken Sie noch, probeweise natürlich bloß, an die aus den unverjährten Völkermordverbrechen Deutschlands im 20. Jahrhundert „herrührenden“ Vermögenswerte! Die sind ja alle noch vorhanden, in der Regel im Anlagekapital von Unternehmen. Unermessliches Geld, verzinst, verstreut, verjubelt. Aber die Kinder und Kindeskinder dieses Geldes sind noch da: auf den Rentenkonten und Lebensversicherungen, in den Einfamilienhäusern und Depots. Alles verseucht, alles vergiftet, alles dreckig!

Nun haben Sie, verehrte Bürger, einen oberflächlichen Eindruck vom Gegenstand der Geldwäsche. Kommen wir noch kurz zum Vorsatz der Geldwäsche: Absätze 1 und 2 setzen jeweils mindestens bedingten Vorsatz voraus; nach Absatz 5 reicht auch Leichtfertigkeit (grobe Fahrlässigkeit).

Und jetzt überlegen Sie bitte: Wie hoch, schätzen Sie, mag wohl die Wahrscheinlichkeit sein, dass sich in Ihrem Geldbeutel oder auf Ihrem Girokonto oder in irgendeinem anderen Vermögenswert, den Sie sich zuschreiben, ein Anteil von Geld befindet, der aus Straftaten „herrührt“? Ich schätze: Sie liegt deutlich über 50 Prozent und geht gegen 100. Und wenn man das weiß oder meint: Wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, sich zumindest wegen leichtfertiger Geldwäsche strafbar zu machen? Meinen Sie wirklich, dass Sie sich da rausreden können?

Flussdurchquerung

Nun werden Sie, Leserinnen und Leser, vielleicht fragen: Was soll mir das alles sagen? Oder: Was soll ich dagegen tun? Warum soll ich strafbar sein, wenn sich mein Verhalten durch nichts von dem aller anderen unterscheidet? Ja, sagt der Forscher, da haben Sie in der Tat recht, aber so ist das mit den Gnus. Sie laufen in die einmal vorgegebene Richtung, auch wenn es schlauer wäre, sich die Sache noch mal zu überlegen.

Paragraf 261 StGB ist eine Strafvorschrift, die praktisch jeden als Täter verdächtig macht, der am Wirtschaftsleben teilnimmt. Die Wahrscheinlichkeit, dass jeden Tag zwei Drittel aller Deutschen mindestens eine Tat der Geldwäsche begehen, ist 100 Prozent. Die gesamte Gesellschaft begeht ununterbrochen diese Straftat. Wenn die Voraussetzungen bekannt wären, wäre auch am (bedingten) Vorsatz kaum zu zweifeln, an der Leichtfertigkeit sowieso nicht.

Alles ist in Bewegung. Auch das Geld

Der Mensch bewegt sich, so oder so. Der Kapitalismus ist so oder so. Geld ist Geld. Es ist flüssig, es ist das Blut unseres Lebens. Die Idee, man müsse nur den Fluss des Geldes kontrollieren, um unser Leben und insbesondere auch unsere Verbrechen zu enthüllen, ist im Ansatz einigermaßen intelligent. Aber natürlich, wie Sie bemerkt haben, nicht schlau genug: Denn da alles sich mit allem vermischt, sind irgendwann alle schuldig oder zumindest der Schuld verdächtig.

Hieraus kann man mindestens zwei verschiedene Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen, dass das alles ein kompletter Irrsinn sei. Dass der Gesetzgeber ein Strafgesetz erlässt und pflegt und pflegt und pflegt …, welches er selbst nicht versteht und das auch keinerlei systematischen Sinn hat. Dafür spricht die Statistik dieses bemerkenswerten Tatbestands: Denn sein „Erfolg“ geht, gemessen am Anspruch, gegen null.

Die andere Schlussfolgerung ist näherliegend, aber auch nicht schöner: Der Gesetzgeber weiß das alles, tut aber trotzdem nichts. Grund: Er verfolgt Ziele, die mit dem Strafgesetz gar nichts zu tun haben. Zum Beispiel, jeden und jede jederzeit beschuldigen zu können, weil sich Strafbarkeit und Sozialadäquanz gar nicht mehr unterscheiden lassen. Wenn alle verdächtig sind, kann man die Schraube fast beliebig anziehen oder lockerlassen. Man kann gegen jedermann alle Möglichkeiten der Überwachung und Durchleuchtung anwenden, wann immer man will. Man kann die gesamt Wirtschaft überwachen. Straftatbestände, die so weit sind, dass dem Bürger kaum eine Möglichkeit bleibt, sich nicht strafbar zu machen, sind – nach Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz – verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat das bei Paragraf 261 StGB nicht so gesehen, sondern stattdessen eine merkwürdige Ausnahme für Strafverteidiger erfunden, die von ihren Mandanten mit Geld aus den Straftaten bezahlt werden: Es sei den Verteidigern „unzumutbar“ (wegen der Berufsfreiheit aus Artikel 12 und der Erwerbsfreiheit aus Art. 14 GG), sich auf Pflichtverteidigergebühren zu beschränken. Das eigentliche Problem des Tatbestands ist damit bestenfalls verkleistert.

Noch ein Weiteres bewirkt der Tatbestand: Er perpetuiert die Vorstellung vom „Krieg“ gegen das Verbrechen. Lehrsätze aus diesem Krieg lauten: Je weniger man findet, desto gefährlicher muss der Feind sein. Je erfolgloser der Kampf, desto mächtiger muss der Gegner sein. Das klingt nicht zufällig wie der ewige Feind Emmanuel Goldstein in George Orwells 1984: ein unsterblicher Feind, dessen „Bekämpfung“ jedes Mittel erlaubt.

Meldet die Presse, gegen jemanden werde wegen „Verdachts der Geldwäsche“ ermittelt, ist der Bürger beeindruckt: Geldwäsche – ganz was Schlimmes. In Wahrheit eher: eine Schimäre. Ein Nichts, das jeder von uns jeden Tag zehn Mal begeht. Weil die ganze Welt eine Verwertungskultur von vergangenen Verbrechen ist.

Hier nun kommen, am Ende, das Gnu und das Krokodil doch wieder ins Spiel. Gelegentlich hat irgendein Leittier aus der Gnuherde eine überraschende neue Idee, wie man den Weg einfacher und gefahrloser gestalten könnte. Der Hauptstrom folgt ihm, als habe es nie einen anderen Weg gegeben.

Überlegen Sie sich, Leserinnen und Leser, gelegentlich einmal, was Gnu und Mensch verbindet, wer Opfer ist und wer der Täter, und wer das beurteilt. Und was die Natur mit dem Geld zu tun hat, und der Staat mit uns.