Nachfolgend ein Beitrag vom 19.9.2018 von Krenberger, jurisPR-VerkR 19/2018 Anm. 6
Leitsatz
Die Zustellung eines Bußgeldbescheides an einen Rechtsanwalt, der seine Bevollmächtigung (nur) „zur Regelung zivilrechtlicher Angelegenheiten“ angezeigt hat, begründet auch dann keine Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG, wenn in der von ihm nachgereichten Vollmacht auch „Straf- und Bußgeldsachen“ aufgeführt sind und er sich im späteren Verfahren unter Vorlage einer Strafprozessvollmacht auch als Verteidiger meldet.
A. Problemstellung
Das AG Berlin-Tiergarten musste prüfen, ob das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen war.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Dem Betroffenen wurde mit Bußgeldbescheid, gegen den form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden ist, eine Verkehrsordnungswidrigkeit – begangen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall – vorgeworfen.
Das AG Berlin-Tiergarten hat das Verfahren gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG eingestellt, weil inzwischen Verfolgungsverjährung eingetreten ist.
Mit Ausnahme der Anhörung des Betroffenen noch vor Ort (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) sei keine weitere Unterbrechungshandlung vorgenommen worden. Insbesondere habe auch die Zustellung des Bußgeldbescheides an den jetzigen Verteidiger des Betroffenen die Verjährung nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen. Denn zum Zeitpunkt der Zustellung habe sich der Rechtsanwalt noch nicht als Verteidiger gemeldet gehabt. Dieser habe vielmehr in seinem Meldeschriftsatz eindeutig und unmissverständlich erklärt gehabt, von seiner „Mandantschaft … in der Schadenregulierung des Verkehrsunfalles… mit der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Interessen beauftragt“ [Hervorhebung im Original] worden zu sein. Aus dieser eindeutigen Formulierung – die auch nicht dem bewusst missverständlichen Vorgehen von Verteidigern in den Fällen der sog. „Verjährungsfalle“ entspreche – ergebe sich unmissverständlich, dass eine Vertretung nur für zivilrechtliche Fragen vorliege, nicht jedoch auch für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Einen Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt im Zweifel immer als Verteidiger auftrete, gebe es nicht.
Daran ändere auch nichts, dass in der später nachgereichten Vollmachtsurkunde formularmäßig „zur Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen …“ aufgeführt sei. In Fällen, in denen – wie hier – die Vollmachtsurkunde eine Vertretung in weiteren Bereichen ausweise als im Meldeschriftsatz angegeben, gehe der Wortlaut des Meldeschriftsatzes vor. Denn für eine wirksame Vertretung genüge es nicht, dass der Mandant den Rechtsanwalt mandatiere und eine entsprechende schriftliche Vollmacht unterzeichne, sondern die Mandatierung müsse erst noch von dem Rechtsanwalt angenommen werden, um wirksam zu werden. In welchem Umfang sie angenommen wurde, ergebe sich in aller Regel aus dem Schriftsatz, mit dem sich der Rechtsanwalt erstmals zum Verfahren melde. Erst mit dem Einspruchsschreiben, dem eine formularmäßige „Strafprozessvollmacht“ späteren Datums beigefügt war, habe sich der Rechtsanwalt zum hiesigen Ordnungswidrigkeitenverfahren als Verteidiger des Betroffenen gemeldet. Diese spätere Verfahrensentwicklung vermag jedoch nicht die unzulässigerweise an ihn erfolgte Zustellung des Bußgeldbescheides nachträglich zu heilen, weil vorliegend nicht von einem Fall der sog. „Verjährungsfalle“ auszugehen sei.
C. Kontext der Entscheidung
Es ist höchst erfreulich, dass das Amtsgericht den § 51 Abs. 3 OWiG ernst nimmt und eine Zustellung an den Rechtsanwalt nur dann als verjährungsunterbrechend akzeptiert, wenn sich zum Zeitpunkt der Zustellung eine Verteidigungsvollmacht bei den Akten befand (OLG Köln, Beschl. v. 04.01.2013 – 1 RBs 334/12 – DAR 2013, 337). Dies war hier nicht der Fall. Zwar ist es möglich, die Zustellung trotz fehlender Vollmacht mit der Konstruktion einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht zu retten, aber dies wurde – zu Recht – vom Amtsgericht nicht angesprochen. Denn dazu hätte es eindeutiger Indizien bedurft, die das Verhalten des bislang nicht offiziell als Verteidiger bevollmächtigten Anwalts als Verteidigerverhalten kennzeichnen. Das fehlte hier völlig, sodass auch keine Scheindiskussion zu dem Thema geboten war. In jedem Fall ist eine Einzelfallprüfung durch das Gericht geboten, das sich an die stufenmäßige Prüfung der Vollmachten halten muss (KG, Beschl. v. 17.06.2016 – 3 Ws (B) 217/16).
Die sog. Verjährungsfalle in Gestalt der Vorlage einer außergerichtlichen oder gar zivilrechtlichen Vollmacht (vgl. dazu OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.10.2007 – 2 Ss (OWi) 142 B/07 – VRS 113, 434; OLG Jena, Beschl. v. 07.12.2006 – 1 Ss 130/06 – VRS 112, 360; OLG Dresden, Beschl. v. 15.01.2007 – Ss (OWi) 731/06 – VerkMitt 2007, Nr 63; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 08.04.2008 – 1 Ss 51/08; OLG Hamm, Beschl. v. 27.11.2003 – 2 Ss 647/03 – DAR 2004, 105; KG, Beschl. v. 09.12.2005 – 2 Ss 281/05 – 3 Ws (B) 637/05, 2 Ss 281/05, 3 Ws (B) 637/05 – VRS 112, 475; KG, Beschl. v. 17.10.2011 – 3 Ws (B) 144/11, 3 Ws (B) 144/11 – 2 Ss 68/11 – VRS 122, 34; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 01.07.2008 – 2 Ss 71/08 – NStZ 2009, 295) wird hingegen zutreffend angesprochen, da die vorliegende Konstellation – Verkehrsunfall – eine zivilrechtliche Regulierung mit beinhaltet und deshalb durchaus mit den Vollmachten „getrickst“ werden könnte. Aber eben nicht müsste, denn der Anwalt muss sich ja zunächst ein Bild der Lage verschaffen können, bevor er dem Mandanten zu Maßnahmen gegen einen (eventuellen) Bußgeldbescheid raten kann.
Einen Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt im Zweifel immer als Verteidiger auftritt, gibt es nicht (Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2018, § 51 Rn. 44a).
D. Auswirkungen für die Praxis
Im Hinblick auf die Auslegung des § 51 Abs. 3 OWiG darf der Verteidiger nicht vergessen, dass sogar eine nur der Akteneinsicht dienende Vollmacht zur Annahme einer Verteidigervollmacht führen kann: Denn nur dem Verteidiger, § 49 OWiG, darf die Akteneinsicht durch Übersendung in sein Büro gewährt werden (OLG Jena, Beschl. v. 07.03.2016 – 1 SsBs 65/15). Des Weiteren wird inzwischen das unterzeichnete Empfangsbekenntnis als Indiz für die Annahme einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht angesehen (OLG Bamberg, Beschl. v. 02.02.2017 – 2 Ss OWi 23/17).
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