OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Mai 2015 – 4 Ss 166/15 –, juris

Leitsatz

1. Ist der tatbestandliche Erfolg einer Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB bereits durch eine oder mehrere Nachstellungshandlungen eingetreten, sind weitere Nachstellungshandlungen, die jeweils das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen und mit den vorigen zeitlich und situativ zusammenhängen, Bestandteil einer tatbestandlichen Handlungseinheit, wenn sie dazu beitragen, dass sich die Dauer oder das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers weiter steigert.

2. Zwischen einer Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 4 Satz 1 GewSchG und Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB kann Tateinheit (§ 52 StGB) bestehen.

Gründe

I.

1
Das Amtsgericht Rottenburg am Neckar hat den Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie Nachstellung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Tübingen – nach Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO in einem Fall – das Urteil des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Nachstellung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz in neun Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch sowie wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt wird. Die Berufung des Angeklagten hat es verworfen.

2
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Sachrüge erhoben. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

II.

3
Die Revision des Angeklagten hat im aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang (vorläufig) Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

4
1. Die Sachrüge deckt in Bezug auf den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung im Fall IV 1 a der Urteilsgründe und wegen einer Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung im Fall IV 2 der Urteilsgründe sowie den hierfür verhängten Einzelstrafen von acht Monaten und einem Monat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Revision bleibt auch der Erfolg versagt, soweit sie sich gegen die zu den Fällen IV 3 bis IV 11 der Urteilsgründe getroffenen tatsächlichen Feststellungen wendet. Insoweit wird auf die Ausführungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen.

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2. Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe in den Fällen IV 3 bis IV 11 der Urteilsgründe neun tatmehrheitliche Nachstellungen begangen und sich deshalb wegen Nachstellung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz in neun Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, schuldig gemacht, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist der Angeklagte insoweit auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Nachstellung (§ 238 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Zuwiderhandlungen gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung (§ 4 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 GewSchG) in neun und Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB) in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig.

6
a) Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:

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Der Angeklagte hatte bis zu einer tätlichen Auseinandersetzung am 16. September 2013 (Fall IV 1 a der Urteilsgründe) eine Beziehung mit der Nebenklägerin geführt. Aufgrund dieses Vorfalls hatte die Nebenklägerin am 19. September 2013 gegen den Angeklagten eine zunächst bis zum 19. März 2014 befristete gerichtliche Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt, die dem Angeklagten mit sofortiger Wirkung unter anderem verbot, die Wohnung der Nebenklägerin zu betreten, sich in einem Umkreis von 50 m um die Wohnung der Nebenklägerin ohne deren vorherige Zustimmung aufzuhalten und sich der Nebenklägerin auf weniger als 20 m zu nähern. Nach einem Verstoß gegen diese Anordnung vom 27. September 2013 (Fall IV 2 der Urteilsgründe) setzte er sich wie folgt über die ihm bekannten gerichtlichen Anordnungen hinweg.

8
Am 1. Oktober 2013 drang der Angeklagte in die Wohnung der Nebenklägerin ein und begab sich in ihr Schlafzimmer. Die Nebenklägerin erwachte und sah, wie der Angeklagte mit Gummihandschuhen vor ihrem Bett stand. Er packte sie an den Armen und hielt ihr den Mund zu. Etwa zwei Stunden redete der Angeklagte auf die verängstigte Nebenklägerin ein, um sie zur Rücknahme der erstatteten Strafanzeige und zur Fortsetzung der Beziehung zu veranlassen. Infolge dieses Vorfalls war die Nebenklägerin völlig verängstigt und nicht in der Lage, arbeiten zu gehen. Sie ließ das Schloss an ihrer Wohnungstür austauschen und beauftragte einen privaten Sicherheitsdienst damit, in den folgenden Wochen ihr Wohnhaus zu observieren. Dafür entstanden ihr und ihren Eltern Kosten von etwa 6.000 €. Seit diesem Vorfall hat die Nebenklägerin Schwierigkeiten damit, alleine in ihrer Wohnung zu übernachten. Aufgrund des Erlebens der Tat begab sie sich in eine ambulante psychiatrische Behandlung, die am 6. Dezember 2013 begann (Fall IV 3 der Urteilsgründe).

9
Am 10. Oktober 2013 begab sich der Angeklagte zum Wohnhaus der Nebenklägerin und passte ihre Rückkehr vor dem Gebäude ab. Als sie eintraf, ging er auf sie zu und sprach sie in einem Abstand von etwa 5 m an (Fall IV 4 der Urteilsgründe).

10
Am 25. Oktober 2013 näherte sich der Angeklagte dem Wohnhaus der Nebenklägerin bis auf wenige Meter und wartete im Bereich des Hauseingangs. Als er nicht auf die Nebenklägerin traf, entfernte er sich. Dabei wurde er von einem Mitarbeiter des von der Nebenklägerin beauftragten privaten Sicherheitsdienstes angesprochen (Fall IV 5 der Urteilsgründe).

11
Am 20. November 2013 begab sich der Angeklagte zur Wohnung der Nebenklägerin und wartete auf ihre Rückkehr von der Arbeit. Als sie mit ihrem Fahrzeug an ihrer Wohnung eingetroffen war, sah sie den Angeklagten und verriegelte die Türe des Fahrzeugs. Der Angeklagte klopfte dennoch an die Scheibe (Fall IV 6 der Urteilsgründe).

12
Am 3. Dezember 2013 betrat der Angeklagte das Treppenhaus zur Wohnung der Nebenklägerin, obwohl er auch dort Hausverbot hatte. Er klopfte an der Wohnungstüre, um sich Zugang zur Wohnung der Nebenklägerin zu verschaffen. Aufgrund dieses Vorfalls ließ die Wohnungseigentümergemeinschaft das Haustürschloss austauschen (Fall IV 7 der Urteilsgründe).

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Am 5. Dezember 2013 passte der Angeklagte die Nebenklägerin auf dem Weg zur Arbeit ab und sprach sie aus einer Entfernung von etwa 10 m an (Fall IV 8 der Urteilsgründe).

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Am 11. Dezember 2013 traf der Angeklagte auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes auf die Nebenklägerin. Er näherte sich ihr auf 8 bis 10 Meter und sprach sie an (Fall IV 9 der Urteilsgründe).

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Am 17. Dezember 2013 begab sich der Angeklagte in die Nähe der Wohnung der Nebenklägerin und versteckte sich in etwa 40 m Entfernung in einer Thujahecke (Fall IV 10 der Urteilsgründe).

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Am 25. Januar 2014 lauerte der Angeklagte der Nebenklägerin an ihrer Wohnung auf. Als sie in ihren vor dem Haus geparkten Pkw einstieg, eilte er mit einer Sturmhaube maskiert auf sie zu und sprach sie an. Dies versetzte die Nebenklägerin in Panik (Fall IV 11 der Urteilsgründe).

17
Durch die permanenten Versuche des Angeklagten, mit der Nebenklägerin Kontakt aufzunehmen und sich ihr zu nähern, ist sie psychisch stark angeschlagen und leidet an einem ausgeprägten Angstsyndrom, das nach ärztlichem Rat mit Beruhigungsmitteln behandelt wird. Wegen ihres unruhigen Schlafs und wegen Schlaflosigkeit nimmt sie Schlaftabletten ein. In ihrem sozialen und beruflichen Leben ist die Nebenklägerin stark eingeschränkt. Sie traut sich kaum mehr allein aus dem Haus und nimmt meist nur noch in Begleitung Dritter am öffentlichen Leben teil. An ihrer Arbeitsstelle arbeitet sie nur noch im Büro, ist nicht mehr voll einsatzfähig und hat viele Ausfallzeiten.

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b) Auf Grundlage dieser Feststellungen ist der Angeklagte nur einer Tat der Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB schuldig. Dieses Delikt verklammert die an sich rechtlich selbständigen Delikte der Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung in neun Fällen und des Hausfriedensbruchs in zwei dazu in Tateinheit stehenden Fällen (Fälle IV 3 und IV 7 der Urteilsgründe) zu einer insgesamt einheitlichen Tat im materiellrechtlichen Sinn. Die Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung tritt nicht im Wege der Konsumption hinter die Nachstellung zurück; zwischen diesen Delikten besteht Tateinheit.

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aa) Die Feststellungen belegen nur eine Tat der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB.

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(1) Die Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt; die Tathandlung muss kausal und zurechenbar sein für eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen. Sie wird beeinträchtigt, wenn das Opfer durch die Handlung des Täters veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte; stets festzustellen ist daher eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände (BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22; vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, juris Rn. 19; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 64). Dieses weite Tatbestandsmerkmal erfährt nach dem Wortlaut des Gesetztes eine Einschränkung dahin, dass die Beeinträchtigung schwerwiegend sein muss. Erfasst werden damit im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernstzunehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 65; BT-Drucks. 16/3641, S. 14). Nicht ausreichend sind daher weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer sogenannten Fangschaltung zum Zweck der Beweissicherung. Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwas das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Wohnung, sind dagegen als schwerwiegend anzusehen (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 65; BT-Drucks. 16/575, S. 8).

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§ 238 Abs. 1 StGB ist zwar kein Dauerdelikt; die verschiedenen Angriffe des Täters, mit denen er den zur Vollendung des Delikts erforderlichen Erfolg nur einmal herbeigeführt hat, bilden jedoch eine tatbestandliche Handlungseinheit (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 24; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86). Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) besteht dagegen, wenn mehrere Nachstellungshandlungen, die jeweils für sich das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen, zu unterschiedlichen Taterfolgen führen (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383 Rn. 35; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 238 Rn. 39; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86; Mosbacher, NStZ 2007, 665, 669 f.; Valerius in BeckOK StGB, § 238 Rn. 25 (Stand: Februar 2015)). Führen beispielsweise die Nachstellungshandlungen zunächst zum ungewollten Umzug des Opfers und weitere Nachstellungshandlungen – etwa das Aufsuchen am Arbeitsplatz – zum Wechsel des Arbeitgebers, liegen zwei materiell selbständige Taten der Nachstellung vor (Mosbacher, NStZ 2007, 665, 699). Die Annahme von Tatmehrheit ist allerdings nur möglich, wenn sich ausschließen lässt, dass die bereits zum ersten Taterfolg führenden Handlungen auch zur weiteren schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung beigetragen haben. Im Zweifel liegt die Annahme einer einzigen Tat nahe (Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86; Mosbacher, NStZ 2007, 665, 670). Ist der tatbestandsmäßige Erfolg bereits durch eine oder mehrere Nachstellungshandlungen eingetreten, können weitere Nachstellungshandlungen dennoch dazu beitragen, dass sich die Dauer oder das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung weiter steigert. In diesem Fall sind auch die nach Erfolgseintritt begangenen Nachstellungshandlungen, die jeweils das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen und mit den vorherigen zeitlich und situativ zusammenhängen, Bestandteil der tatbestandlichen Handlungseinheit.

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(2) Hier führte bereits der Vorfall vom 1. Oktober 2013 (Fall IV 3 der Urteilsgründe) den tatbestandlichen Erfolg herbei. Die durch die Nachstellungshandlung veranlasste notwendige Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 238 Rn. 31; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 48), die Beauftragung eines privaten Sicherheitsdienstes und der weitgehende Verzicht darauf, alleine in der eigenen Wohnung zu übernachten, erreicht jedenfalls in der Kombination (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 Ss 96/0, juris Rn. 27; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 48) den erforderlichen Schweregrad. Deshalb ist der Tatbestand der Nachstellung bereits mit der Nachstellungshandlung vom 1. Oktober 2013 vollendet.

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Weitere darüber hinausgehende Folgen, die einzelnen nachfolgenden Nachstellungshandlungen zugeordnet werden können, konnte das Landgericht nicht feststellen. Die einzelnen weiteren Nachstellungshandlungen bewirkten keine zusätzlichen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung, die sich qualitativ von den bereits eingetretenen unterscheiden. Der Austausch des Haustürschlosses durch die Wohnungseigentümergemeinschaft als Reaktion auf den Vorfall vom 3. Dezember 2013 (Fall IV 7 der Urteilsgründe) bewirkte keine Verhaltensänderung der Nebenklägerin, die lediglich Mieterin der Wohnung war, und erreicht zudem nicht den erforderlichen Schweregrad. Dass die Nebenklägerin aufgrund des Zusammentreffens mit dem Angeklagten am 25. Januar 2014 (Fall IV 11 der Urteilsgründe) in Panik geriet, führte zu keiner objektivierbaren Verhaltensänderung.

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Die nach dem Erfolgseintritt begangenen Nachstellungshandlungen intensivierten jedoch in ihrem Zusammenwirken die bereits eingetretenen Folgen oder führten zu deren Aufrechterhaltung. Die Feststellungen lassen erkennen, dass die Nebenklägerin mit der zunehmenden Anzahl der Nachstellungshandlungen immer stärker psychisch belastet war, ihre Schutzmaßnahmen aufrecht erhielt und sich immer weiter aus dem sozialen Leben zurückzog. Die Nachstellungshandlungen sind deshalb in ihrem Zusammenwirken für den tatbestandlichen Erfolg in seiner konkreten Gestalt mitursächlich und verbinden sie dementsprechend zu einem einheitlichen Geschehen.

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bb) Die Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB verklammert die vom Angeklagten ebenfalls verwirklichten Delikte der Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung und des Hausfriedensbruchs, so dass insgesamt Tateinheit gegeben ist. Zwischen an sich selbständigen Delikten kann durch ein weiteres Delikt – auch einer anderen Handlungseinheit – Tateinheit hergestellt werden, wenn dieses weitere Delikt – beziehungsweise die Handlungseinheit – mit den anderen Straftatbeständen jeweils ideell konkurriert und zumindest mit einem der verbundenen Delikte eine annähernde Wertgleichheit besteht oder die verklammernde Tat die schwerste ist (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 32).

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Dies ist hier der Fall. Die Nachstellung ist unter den konkreten Umständen des Falles im Vergleich zu den Zuwiderhandlungen gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung und zum Hausfriedensbruch das schwerste Delikt. Zwar ist bei einzelnen der festgestellten Nachstellungshandlungen zweifelhaft, ob sie zur Aufrechterhaltung oder Intensivierung der erzwungenen Verhaltensänderung beigetragen haben. So hat das Landgericht in den Fällen IV 5 und IV 10 der Urteilsgründe nicht festgestellt, ob die Nebenklägerin vom Verhalten des Angeklagten überhaupt Kenntnis erlangt hat. Jedoch ist die Einbeziehung auch dieser Vorfälle, die als Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung strafbar sind, im Wege der Verklammerung in die tatbestandliche Handlungseinheit für den Angeklagten günstiger als die Annahme von Tatmehrheit. Kann – wie hier – die mit einer Kenntnisnahme durch die Nebenklägerin verbundene erfolgsfördernde Wirkung dieser Nachstellungshandlungen nicht sicher ausgeschlossen werden, ist im Zweifel eine einzige Tat der Nachstellung anzunehmen.

27
cc) Zwischen der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB und den Zuwiderhandlungen gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 4 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 GewSchG besteht Tateinheit. Teilweise wird zwar vertreten, eine Zuwiderhandlung gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung gemäß § 4 GewSchG trete hinter § 238 Abs. 1 StGB zurück (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl. § 238 Rn. 39; Krehl in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 238 Rn. 86 für Taten nach § 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b GewSchG). Dagegen nimmt die überwiegende Meinung Tateinheit an (Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 238 Rn. 39; Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 59; Schluckebier in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 239 Rn. 23; Sonnen in NK StGB, 4. Aufl., § 238 Rn. 60; vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Mai 2008 – 2 Ws 142/08, juris Rn. 2). Der Senat schließt sich letzterer Auffassung an. Der Verstoß gegen § 4 GewSchG sanktioniert einen zu der nach § 238 StGB strafbaren Nachstellung hinzukommenden Verstoß gegen eine richterliche Anordnung (vgl. Gericke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 238 Rn. 59). Dem entspricht es, dass ein Verstoß gegen durch Einzelanordnungen konkretisierte Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung– wie ein gerichtlich angeordnetes Kontaktverbot nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG – bei der Strafzumessung wegen Nachstellung strafschärfend berücksichtigt werden kann (BGH, Beschluss vom 8. April 2014 – 1 StR 126/14, juris Rn. 10). Die Annahme der Tateinheit, durch die der zusätzliche Verstoß gegen die richterlichen Anordnungen zum Ausdruck kommt, dient der Klarstellung (Mosbacher, NStZ 2007, 665, 670).

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3. Die Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der Fälle IV 3 bis IV 11 der Urteilsgründe, die das Landgericht fehlerhaft als rechtlich selbständige Taten bewertet hat, in nur eine Tat zieht die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafen nach sich. Das Entfallen der Einzelstrafen erfordert die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

29
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

30
Für die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung kann dem Verhalten des Angeklagten nach der Tat, insbesondere ob er weiterhin gegen gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung verstoßen hat, entscheidende Bedeutung zukommen. Ein Verstoß gegen solche Schutzanordnungen, der im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB berücksichtigt werden soll, kann allerdings nicht – wie im angefochtenen Urteil geschehen – allein damit begründet werden, dass das Familiengericht „weitere Verstöße gegen die Gewaltschutzanordnung über das hier abzuurteilende Verhalten hinaus“ „rechtskräftig festgestellt“ habe.

31
Der Tatrichter muss die Umstände, aufgrund derer er die Kriminalprognose als ungünstig bewertet, rechtsfehlerfrei feststellen (BGH, Beschluss vom 22. Juli 1992 – 2 StR 293/92, juris Rn. 4). Straftaten, die nicht Gegenstand der Anklage sind und nicht rechtskräftig festgestellt sind, muss er so bestimmt feststellen, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 7. August 2014 – 3 StR 438/13, NJW 2014, 3259 Rn. 4). Nicht angeklagte und nicht rechtskräftig abgeurteilte strafbare Handlungen dürfen – wegen des Gewährleistungsgehalts der Unschuldsvermutung und des Verbots der Doppelbestrafung – nach dem Sinn des § 46 Abs. 2 StGB nur dann zum Nachteil des Täters gewertet werden, wenn sie als Anzeichen für seine Schuld und Gefährlichkeit in einem inneren Zusammenhang zur angeklagten Tat stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 4 StR 448/13, NJW 2014, 645 Rn. 8).

32
Die Ausführungen der Strafkammer zu den weiteren Verstößen gegen die Gewaltschutzanordnung bedeuten lediglich, dass nach Auffassung des Familiengerichts in einem Zwangsvollstreckungsverfahren gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, § 890 ZPO die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes feststanden. Der Verhängung eines Ordnungsgeldes kommt aber keine entscheidende Indizwirkung für die Frage zu, ob der Angeklagte erneut gegen die Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz verstoßen und sich nach § 4 Satz 1 GewSchG strafbar gemacht hat. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes verlangt lediglich einen schuldhaften Verstoß gegen das Unterlassungsgebot; hierfür reicht bereits Fahrlässigkeit aus (OLG Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2006 – 10 WF 315/05, juris Rn. 4). Zudem gilt nach herrschender Meinung im Verfahren über die Festsetzung des Ordnungsgeldes die Regelung des § 138 Abs. 3 ZPO, so dass bei der Feststellung der Zuwiderhandlung nur bestrittene Tatsachen des Beweises bedürfen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Februar 1991 – 15 W 123/90, NJW-RR 1991, 1088; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 891 Rn. 2; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 891 Rn. 2; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl., § 891 Rn. 9; Stürner in BeckOK ZPO, § 891 Rn. 1; a. A. Stöber in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 891 Rn. 1). Einwendungen können zur Darlegungs- und Beweislast des Vollstreckungsschuldners stehen (Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 890 Rn. 39). Allem nach kann die Überzeugung, dass der Angeklagte vorsätzlich gegen die Schutzanordnungen verstoßen hat und damit den Straftatbestand des § 4 Satz 1 GewSchG verwirklicht hat, nicht allein und nicht entscheidend auf die Verhängung des Ordnungsgeldes gestützt werden. Für das Gewicht der eventuellen weiteren Verstöße im Rahmen der Prognoseentscheidung kommt es auch darauf an, zu welchen Zeitpunkten, mit welcher Häufigkeit, in welchem Ausmaß und unter welchen Umständen der Angeklagte entsprechende Zuwiderhandlungen begangen hat. Sollte die Kriminalprognose nicht bereits aus anderen Gründen negativ sein, wird der neue Tatrichter hierzu konkrete Feststellungen treffen müssen.

33
5. Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen im Berufungsrechtszug ist aufzuheben, weil der Umfang des Teilerfolgs der Berufung der Staatsanwaltschaft noch nicht feststeht.