BGH, Urteil vom 15. Mai 1979 – 1 StR 74/79 –, juris

Sonstiger Orientierungssatz

1. Bei Bestehen einer gegenwärtigen Dauergefahr (hier: Bedrohung des Familienfriedens durch einen Dritten) braucht sich die Abwehr nicht darauf zu beschränken, den sofortigen Eintritt des Schadens zu hindern, die Gefahr also hinauszuschieben; die einheitliche Dauergefahr ist nicht in einen gegenwärtigen und einen zukünftigen Teil zu zerlegen.

2.Entsteht durch einen hartnäckig immer wieder nachts in eine eheliche Wohnung und den zugehörigen Garten eindringenden Spanner die fortdauernde Gefahr, daß die davon betroffenen Eheleute aus Angst abends nicht mehr das Haus zu verlassen wagen, so handelt der Ehemann, der den unbekannten Spanner dingfest machen will und deshalb nach vorheriger Warnung in Richtung der Beine des Flüchtenden schießt, in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für die Freiheit und daher im entschuldigenden Notstand.

3. Ob der Sachverhalt die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands (StGB § 34) erfüllt, kann dahingestellt bleiben, wenn der Angeklagte jedenfalls gemäß StGB § 35 ohne Schuld gehandelt hat.