Nachfolgend ein Beitrag von Christian Becker in der HRRS Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht aus der Ausgabe August/September 2009.
Zur aktuellen Kontroverse um die sog. „schadensgleiche Vermögensgefährdung“
I. Einleitung
„Das Alte sagt: So wie ich bin, bin ich seit je. Das Neue sagt: Bist du nicht gut, dann geh“. So heißt es in Bertold Brechts Stück „Das Leben des Galilei“.[1] Dieses handelt vom Kampf des berühmten Gelehrten gegen die Kirche, die sich weigert, eine Falsifizierung ihres überkommenen Weltbildes durch neue, rational begründbare Erkenntnisse zuzulassen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Dogmatik zum Vermögensschaden bei der Untreue bzw. auch beim Betrug könnte man den 1. Strafsenat des BGH in einem ähnlichen Fahrwasser vermuten, stellt dieser doch die Existenzberechtigung einer Rechtsfigur in Frage, die „zum feststehenden Arsenal der Betrugsdogmatik“[2] gehört bzw. aus dieser „nicht mehr wegzudenken ist“[3]. Die Rede ist von der Vermögensgefährdung, die wahlweise mit den Adjektiven konkret bzw. schadensgleich versehen wird und mal auch schlicht als Gefährdungsschaden daherkommt.[4] Steht sie somit im Brechtschen Sinne für „das Alte“, so ist der Beschluss des 1. Strafsenats vom 18. Februar 2009[5] bereits die zweite Entscheidung jenes Spruchkörpers[6], die demgegenüber scheinbar „das Neue“ repräsentiert. Denn dort heißt es: „Der Begriff der konkreten Vermögensgefährdung[…]ist entbehrlich“[7], was zum Ausdruck bringt, dass der Senat die zwar umstrittene, im Grundsatz aber doch anerkannte Rechtsfigur offenbar für inhaltlich bedeutungslos und überflüssig hält. Ist demnach die seit Jahrzehnten mit der Thematik beschäftigte Strafrechtswissenschaft[8] ebenso von einem ptolemäischen Weltbild ausgegangen wie die Rechtsprechung, in der die Vermögensgefährdung als Unterfall des Vermögensschadens seit den Zeiten des Reichsgerichts[9] anerkannt ist? Bedurfte es des 1. Strafsenats, um all dies innerhalb weniger Entscheidungen zu falsifizieren, so wie Galilei durch seine Beobachtungen und Berechnungen nicht nur Claudius Ptolemäus, sondern zudem noch die heilige Schrift falsifizierte?
Ziel dieses kurzen Beitrags ist es, ein wenig Klarheit in diese scheinbare Kontroverse zwischen „alt“ und „neu“ in der Schadensdogmatik zu bringen. Gegenstand der Erörterung ist dabei in erster Linie § 263 StGB, während § 266 StGB nur am Rande eine Rolle spielt.[10] Allerdings kann der Untreuetatbestand nicht völlig ausgeblendet werden, wenn zunächst eine Chronologie der aktuellen Diskussion erstellt wird (II). Im Anschluss daran gilt es, einige begriffliche und sachliche Unklarheiten aufzuarbeiten (III), die bei diesem Thema wie sonst selten in der Dogmatik miteinander verknüpft sind.[11] Im Zuge dieser „Bereinigung“ kommt schnell der wesentliche Kern des Problems zum Vorschein, i.e. die Frage nach der Abgrenzung von tatbestandsmäßiger und tatbestandsloser Vermögensgefährdung. Diese wird vom 1. Strafsenat weder in völlig neuer noch in gänzlich überzeugender Weise beantwortet (IV).
II. Chronologie der Entwicklung seit der „Kanther– Entscheidung“
Die Debatte, die mit dem aktuellen Beschluss zum Betrug ihren – aller Voraussicht nach nur vorläufigen – Höhepunkt erreicht hat, begann mit der die Untreue betreffenden „Kanther – Entscheidung“ des 2. Strafsenats.[12] Dort verlangte das Gericht, dass sich das voluntative Element des Eventualvorsatzes in Fällen der schadensgleichen Vermögensgefährdung nicht nur auf die Gefährdung, sondern auch auf den endgültigen Vermögensverlust erstrecken müsse.[13] Dies war zwar neu[14], ex ante betrachtet aber dennoch nicht unbedingt geeignet, die Entwicklung anzustoßen, die nun in der durch den 1. Strafsenat propagierten gänzlichen Abschaffung des Gefährdungsschadens gipfelt. Man konnte darin eine begrüßenswerte Konkretisierung der bis dahin geläufigen Formel von den „strengen Anforderungen“ an die Vorsatzfeststellung sehen und im Übrigen – was im Schrifttum auch geschah – kritisieren, dass der 2. Strafsenat einen Restriktionsansatz auf subjektiver Ebene gewählt und so die Untreue contra legem in ein Delikt mit überschießender Innentendenz verwandelt hat, anstatt die seit langem geforderte Begrenzung des Schadensbegriffs im objektiven Tatbestand vorzunehmen.[15] Wohl kaum jemand hätte vermutet, dass die vor allem im Untreuebereich seit jeher forcierte Einschränkung bzw. sogar Abschaffung der schadensgleichen Vermögensgefährdung[16] einmal eher strafbarkeitserweiternd als einschränkend wirken würde, indem die bisher als Fälle der Vermögensgefährdung gehandhabten Konstellationen zu solchen des „endgültigen Schadens“ erklärt werden.
Mit diesem Ansatz trat dann aber gut anderthalb Jahre nach „Kanther“ erstmals der 1. Strafsenat auf den Plan, als er in einem obiter dictum seine Missbilligung nicht nur bzgl. des vom 2. Strafsenat gewählten subjektiven Ansatzes, sondern bzgl. der Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung insgesamt zum Ausdruck brachte.[17] In der so entstandenen offenen Kontroverse, die von den Senatsmitgliedern Fischer und Nack literarisch fortgeführt wurde[18], schloss sich wenig später der 5. Strafsenat dem in der „Kanther – Entscheidung“ entwickelten Ansatz an.[19] Mit der jüngsten Entscheidung beweist der 1. Strafsenat also seine Standhaftigkeit trotz wachsender Gegnerschaft und er dehnt die Problematik erstmals explizit auf § 263 StGB aus. Dabei gilt, wie schon bei der ersten, die Untreue betreffenden Entscheidung des Senats, dass der zugrundeliegende Sachverhalt eigentlich „ohne jede Grundsatzdiskussion“ hätte entschieden werden können.[20] Im aktuellen Verfahren ging es um einen Angeklagten, der Investoren eine bankgarantierte, hochrentierliche Geldanlage ohne Verlustrisiko vorgaukelte, in Wahrheit aber im Wege des nicht erst seit dem Fall Madoff bekannten „Schneeballsystems“[21] vorging, also die einbezahlten Gelder vor allem zur Befriedigung von Altinvestoren verwendete. Dass die Anleger bei einem solchen Risikogeschäft[22] einen Vermögensschaden erleiden, weil der gegen den Angeklagten erworbene Anspruch aufgrund des Schneeballsystems die Zahlung des Anlagekapitals nicht kompensiert, hätte sich bereits nach allgemeinen Grundsätzen[23] durchaus plausibel begründen lassen. Der Senat sah sich jedoch dazu veranlasst, seine scheinbare Neuorientierung in der Vermögensschadensdogmatik voranzutreiben, weshalb er die schadensgleiche Vermögensgefährdung kurzerhand für entbehrlich erklärte. Um diese Aussage einzuordnen, bedarf es zunächst einer Klärung dessen, was in der Sache gemeint ist, wenn von dieser Rechtsfigur die Rede ist.
III. Gefährdung und Schaden? Gefährdung oder Schaden? Gefährdung als Schaden? Zur Klärung begrifflicher und sachlicher Missverständnisse
Zur Vereinfachung wird im Folgenden – aus dem eingangs dargestellten „Fundus“ gebräuchlicher Bezeichnungen[24] – ausschließlich der Begriff des Gefährdungsschadens verwendet, obwohl auch dieser insofern missverständlich ist, als sich Gefährdung und Schaden – bezogen auf dasselbe Rechtsgut – bei einem Verletzungsdelikt eigentlich ausschließen.[25] Inhaltlich lässt sich die Rechtsfigur dagegen recht knapp umschreiben: Die Gefahr eines zukünftigen Verlustes von Vermögenssubstanz führt zu einem Schaden, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtung zu einer aktuellen Minderung des Gesamtvermögens führt.[26] Da nun aber ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB wiederum nichts anderes ist als eine nicht kompensierte Vermögensminderung (sog. Prinzip der Gesamtsaldierung), m.a.W. ein Vermögensverlust[27], besagt die vorstehende Umschreibung im Grunde: Eine Vermögensgefährdung ist ein Schaden, wenn sie zu einem Schaden führt. Diese Tautologie ist letztlich Ausdruck einer „Selbstverständlichkeit“[28]: Der Gefährdungsschaden ist – auf der Basis eines wirtschaftlichen bzw. wirtschaftlich-juristischen Vermögensbegriffs[29] – ein „echter“ und „endgültiger“ Schaden[30], der lediglich nicht aus einem Substanzverlust[31], sondern aus der negativen Prognose bzgl. der Realisierbarkeit des vollständigen Wertes eines Vermögensobjekts folgt.
Diese Schadensform generell abzulehnen hieße zu bestreiten, dass eine Verlustgefahr den Wert von Vermögensgegenständen aktuell mindern kann; eine insbesondere bei der Forderungsbewertung letztlich unhaltbare Auffassung. Sie würde zu einem binär reduzierten Vermögensverständnis führen, bei dem eine Forderung nur den Wert „0“ (Totalausfall) oder „1“ (Nennwert) haben könnte. Dies ist zur Erfassung wirtschaftlicher Realitäten völlig ungeeignet. Denn wer eine vermeintlich bankgarantierte Forderung zum Preis ihres Nennwertes erwirbt, obwohl es sich tatsächlich um eine ungesicherte Forderung gegen einen Schuldner mit durchschnittlicher Bonität handelt, der erleidet einen aktuellen Vermögensverlust[32], da er für die unterhalb ihres Nennwerts (dem Wert „1“) anzusetzende Forderung „zu viel“ bezahlt. Dass die Erfüllung noch möglich ist, die Forderung also nicht bereits den Wert „0“ hat, ändert daran nichts.[33] Müsste sich das Opfer auf die mögliche Erfüllung verweisen lassen, so bliebe vom Vermögen als „geronnene Freiheit“[34] nicht viel übrig, denn die Forderung wäre – weil der vom Erwerber aufgebrachte Nennwert als Verkaufserlös nicht erzielbar ist – als Tauschobjekt „gesperrt“. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, das Vermögen des Forderungskäufers sei aktuell geschädigt, konsequent und letztlich zwingend, auch wenn die Forderung noch erfüllt werden kann und womöglich auch erfüllt werden wird.[35] Die zweifelhafte Realisierbarkeit des Gegenleistungsanspruchs führt demnach auch beim Risikogeschäft zu einem aktuellen Vermögensverlust, nicht lediglich zu einer „bloßen Gefährdung“[36]. Beim Kreditbetrug[37] gilt dasselbe, wenn etwa täuschungsbedingt ein ungesicherter Kredit an einen Schuldner mit nur mittelmäßiger Bonität vergeben wird.[38]
Von diesem Ausgangspunkt lässt sich der Anwendungsbereich des Gefährdungsschadens veranschaulichen: Ein solcher liegt vor, wenn sich der Wert eines Vermögensobjekts auf einer gedachten Wertskala vom Wert „100“ (Substanz- bzw. Nennwertwert) auf den Wert „0“ (Totalverlust) zu bewegt, ohne diesen zu erreichen.[39] Diese Schadensart ist als notwendige Folge eines wirtschaftlichen Vermögensbegriffs zu Recht seit jeher Bestandteil der Schadensdogmatik und insofern keineswegs überflüssig. Zugleich ist ein Gefährdungsschaden gegenüber dem „echten“ Vermögensschaden kein aliud. Wollte der 1. Strafsenat letzteres zum Ausdruck bringen, so kann dem nicht widersprochen werden.[40] Es handelte sich hierbei freilich dann tatsächlich um die Betonung einer „Selbstverständlichkeit“[41], was die entstandene Kontroverse als „Viel Lärm um nichts“ erscheinen ließe.
Da somit klar ist, was in diesem Themenkomplex vernünftigerweise nicht diskutiert werden muss, kann der Fokus auf das eigentliche Problem gerichtet werden: die Abgrenzung von effektiv vermögensmindernden, tatbestandsmäßigen Gefährdungen und solchen, die nicht unmittelbar vermögensrelevant sind. Hierbei – und darin liegt der berechtigte Kern des Unbehagens vieler Strafrechtler im Umgang mit dem Gefährdungsschaden – ergeben sich für das an Art. 103 Abs. 2 GG gebundene Strafrecht tatsächlich schwierige Abgrenzungsprobleme. Der diesbezüglich vom 1. Strafsenat jüngst beschrittene Weg ist im Folgenden einer kritischen Prüfung zu unterziehen.[42] Er ist das eigentlich Interessante an den viel diskutierten Entscheidungen. Neu ist er allerdings nicht.
IV. Bilanzrechtliche Wertberichtigung = Strafrechtliche Vermögensminderung?
Der Senat formuliert in seinem aktuellen Beschluss im Zusammenhang mit der Schadensfeststellung, dass der Minderwert des im Synallagma Erlangten (also des Zahlungsanspruchs der Investoren gegen den Kläger) „wie im Falle einer Einzelwertberichtigung“ zu bewerten sei. Einer Einzelwertberichtigung in der Handelsbilanz unterliegen Forderungen, bei denen aufgrund einer – im Einzelnen anhand differenzierter Kriterien zu ermittelnden – hinreichenden Wahrscheinlichkeit mit einem Zins- oder Tilgungsausfall zu rechnen ist.[43] Solche Forderungen dürfen nicht mit ihrem Nennwert bilanziert werden. Aller Voraussicht nach völlig uneinbringliche Forderungen sind dagegen abzuschreiben. Zudem besteht im Handelsrecht die Möglichkeit einer Pauschalwertberichtigung zur Abbildung eines allgemeinen Kreditrisikos, dessen Anerkennung darauf beruht, dass erfahrungsgemäß auch solche Forderungen zu einem gewissen Prozentsatz ausfallen, die keiner Einzelwertberichtigung unterliegen.[44] Der Senat will nun also offenbar bei der Schadensfeststellung solche bilanzrechtlichen Bewertungskriterien – jedenfalls die Grundsätze der Einzelwertberichtigung[45] – anwenden[46], die strafrechtliche Vermögenssaldierung also bilanzrechtsakzessorisch vornehmen.
1. Bilanzrechtsakzessorietät oder „Modellcharakter des Bilanzrechts“?
Dieser scheinbar bilanzrechtsakzessorische Ansatz ist nun gewiss nicht revolutionär, sondern vielmehr die Fortführung bzw. Zuspitzung einer mehr oder weniger an der bilanzrechtlichen Vermögensbewertung orientierten Schadensfeststellung, wie sie von einigen Autoren bereits vor der jüngsten Entwicklung vertreten wurde.[47] Vereinzelte Anleihen aus dem Bilanzrecht finden sich in Rechtsprechung und Schrifttum seit jeher, wenngleich dies nicht immer ausdrücklich benannt wird.[48] Eine solche Orientierung am Bilanzrecht, jenseits strenger Akzessorietät, wenngleichFreilcih fs hat auch eine beachtliche Überzeugungskraft, was häufig übersehen wird, wenn entsprechende Vorstöße etwas übereilt einer Pauschalkritik unterzogen werden.[49] Denn auch im Strafrecht ist eine stichtagsbezogene Bewertung von Forderungen notwendig, und zwar bezogen auf den Zeitpunkt der Vermögensverfügung.[50] Rückgriffe auf bilanzrechtliche Kriterien und Instrumente zur Durchführung solcher Bewertungen sind daher sogar naheliegend.[51] Das Bilanzrecht ermöglicht außerdem die Umrechnung sämtlicher Vermögenswerte in die „homogene Ertragskategorie des Geldes“[52], und schafft somit die Basis für eine Vermögenssaldierung und damit für die Verwirklichung eines Grundprinzips der Schadensdogmatik.[53] Doch besteht ein großer Unterschied zwischen der Aussage, das Bilanzrecht habe „Modellcharakter“ bzw. sei ein „heuristisches Konkretisierungshilfsmittel“[54] bei der Schadensfeststellung, und einer bilanzrechtsakzessorischen Vermögensbewertung im Strafrecht. Sofern der Senat letzteres anstrebt, gibt es gute Gründe, dem entgegenzutreten.
Bekannt ist insofern das Argument der Inkompatibilität strafrechtlicher und bilanzrechtlicher Prinzipien.[55] Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der vorsichtigen Bewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), der bei verschiedenen Bewertungsmöglichkeiten zur Annahme der ungünstigsten Variante zwingt, ohne dabei die unbegründete Annahme des niedrigsten Schätzwertes jenseits konkreter Risiken zu erlauben.[56] Dass dies zu Friktionen im Hinblick auf den in dubio pro reo – Grundsatz führt, wenn die mögliche Kompensation handelsrechtlich „im Zweifel“ nicht mit ihrem vollen Wert anzusetzen ist und so zu Lasten des Angeklagten ein Vermögensschaden bejaht wird, ist nicht von der Hand zu weisen.[57] Auch bieten handelsrechtliche Bewertungen dem Bilanzierungspflichtigen zahlreiche Ermessensspielräume, die er in gewissem Umfang zulässigerweise zur Bildung sog. stiller Reserven durch gezielt zurückhaltende Vermögensbewertungen nutzen kann.[58] Die danach abgebildete „relative Bilanzwahrheit“[59] ist als Basis der Feststellung eines Tatbestandsmerkmals kaum tragfähig.
Nun ließe sich trotz dieser scheinbar fundamentalen Gegensätze zunächst doch womöglich so etwas wie eine modifizierte oder bedingte Akzessorietät begründen, etwa indem das Vorsichtsprinzip für das Strafrecht insoweit außer Kraft gesetzt wird, dass unter mehreren noch zulässigen Wertansätzen stets derjenige zu wählen ist, der – zu Gunsten des Angeklagten – zur höchstmöglichen Bewertung führt.[60] Zudem könnte statt handelsrechtlicher Bewertungen auf die Wertermittlung im Überschuldungsstatus abgestellt werden, für die eine Orientierung am objektiven Verkehrswert charakteristisch ist.[61] Aber auch bei der Überschuldungsprüfung gibt es derart viele Unsicherheiten, dass bisweilen schon der Begriff „Bewertung“ als irreführend bezeichnet wird.[62] Hierin deutet sich der eigentliche Grund für die Untauglichkeit des Bilanzrechts als im Strafrecht akzessorisch zu übernehmender Maßstab bei der Vermögensbewertung an. Denn es kann mit seiner Vielzahl an Bewertungsmethoden[63] den wirtschaftlichen Wert eines Vermögensbestandteils nicht darstellen, jedenfalls nicht in einer Art. 103 Abs. 2 GG genügenden Bestimmtheit. Mehr noch: Den objektiven wirtschaftlichen Wert eines Vermögensbestandteils i.S. einer mathematisch präzise berechenbaren Größe gibt es nicht. Die Zuordnung eines Wertes zu einem Vermögensgegenstand – jenseits von Geld und anderen Nominalwertgütern – hängt vielmehr von unterschiedlichen Kriterien und Variablen ab, die i.d.R. jedenfalls teilweise zur Disposition des Bewertenden stehen.[64]
Existiert aber schon kein stringent objektivierbarer Wert einer Forderung, dann kann es erst recht kein abstraktes Kriterium zur Abgrenzung von „noch“ mit dem Nennwert anzusetzenden und „schon“ minderwertigen Forderungen geben. Die Suche nach einer klaren Trennlinie zwischen „bloßer Gefährdung“ und „echtem Schaden“ ist daher von vornherein aussichtslos.[65] Da aber die grundsätzliche Existenz eines Vermögensschadens jenseits des Substanzverlustes ohne die Aufgabe eines wirtschaftlich geprägten Vermögensbegriffs nicht bestritten werden kann, löst der oft vorschnelle Rückgriff auf Art. 103 Abs. 2 GG das Problem nicht. Die Grenze zwischen Schaden und Nichtschaden muss stattdessen für jeden Einzelfall neu vermessen werden, wobei das „Definitionsminimum“[66] der gegenwärtigen Vermögensminderung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der einzig gesicherte Ausgangspunkt bleibt[67]; ein wenig befriedigendes, angesichts der unüberschaubaren Vielgestaltigkeit der in Frage kommenden Sachverhalte und der Relativität ökonomischer Vermögensbewertungen aber durchaus nicht überraschendes Ergebnis.[68] Die Erkenntnis, dass das Bilanzrecht ein großes Reservoir an „Handwerkszeug“ für die Schadensermittlung im Strafrecht bietet, ist einer der Verdienste eines bilanzrechtsorientierten Ansatzes, was oft unterzugehen droht, wenn eine tatsächlich oder vermeintlich gewollte Bilanzrechtsakzessorietät – im Ergebnis zu Recht – kritisiert wird.
2. Evidenter Vermögensverlust als Vermögensschaden
Wie lässt sich nun auf der einen Seite ein sinnvoller und notwendiger „Modellcharakter“ des Bilanzrechts bei der Vermögensbewertung wahren, ohne dabei in eine inakzeptable Akzessorietät „abzugleiten“? Hier bietet sich eine Parallele zu anderen Berührungspunkten zwischen Strafrecht und Bilanzrecht an. Notwendige Anleihen im Bilanzrecht werden strafrechtlich oft unter Rückgriff auf das Evidenz– bzw. Unvertretbarkeitskriterium begrenzt, das ursprünglich die strafrechtliche Geltung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder von Generalklauseln aus dem Zivilrecht einschränken sollte[69] und heute v.a. im Kontext des Pflichtwidrigkeitsmerkmals i.S.v. § 266 StGB weit verbreitet ist.[70] In bilanzrechtlichen Zusammenhängen, z.B. bei der Unrichtigkeit einer Bilanz i.S.d. § 265b StGB[71] oder der unrichtigen Darstellung i.S.d. § 331 HGB[72], folgt daraus, dass nur eine offenkundige Unrichtigkeit als tatbestandsmäßig angesehen wird. Auch Überschuldung im insolvenzstrafrechtlichen Sinne wird erst bejaht, wenn alle anerkannten Berechnungsmethoden zu dem Ergebnis kommen, dass die Passiva die Aktiva übersteigen.[73]
Macht man den dahinterstehenden Gedanken[74] im vorliegenden Kontext fruchtbar, so ergibt sich daraus, dass die aktuelle Minderung des Opfervermögens bei einem möglichen Gefährdungsschaden aufgrund konkreter Tatsachen eindeutig feststehen muss.[75] Dabei kommt es aber nicht auf die Perspektive eines Bilanzsachverständigen an, für den Wertberichtigungen bereits evident sein mögen, die dies aus der Sicht eines Strafrichters nicht sind. Denn der Beurteilungsmaßstab eines Sachverständigen würde im Ergebnis wieder einen Schritt hin zur hier abgelehnten Akzessorietät bedeuten. Maßgeblich ist daher die Perspektive eines Nichtsachverständigen mit profunden wirtschaftlichen Kenntnissen, wie es ein Strafrichter idealtypischerweise ist.[76] Ist eine Vermögensminderung dagegen nicht ohne die Mitwirkung eines Sachverständigen feststellbar, so ist dies ein Indiz dafür, dass keine strafrechtlich relevante, i.e. keine eindeutige Werteinbuße anzunehmen ist.[77] Steht allerdings umgekehrt nach nur einer wissenschaftlich anerkannten Bewertungsmethode fest, dass keine Wertminderung vorliegt, so ist zu Gunsten des Angeklagten ein Vermögensschaden ausgeschlossen.[78] In Anlehnung an eine bekannte Formulierung zur Zivilrechtsakzessorietät der Untreue ließe sich somit sagen: nicht alles, was eine bilanzrechtliche Einzelwertberichtigung begründet, ist schon ein Vermögensschaden, aber wo es schon an den Voraussetzungen einer Einzelwertberichtigung fehlt, ist ein Vermögensschaden ausgeschlossen.
Diese Betrachtung steht im Einklang mit der ganz herrschenden personalen Unrechtslehre[79], weil auf diese Weise durch § 263 StGB nur solche Vermögensschädigungen als verboten gelten, die mindestens für den durchschnittlichen Normadressaten auch ex ante als solche erkennbar sind.[80] Der objektive Tatbestand des Vermögensbeschädigungsdelikts Betrug bleibt auf Fälle beschränkt, in denen eine Wertminderung eindeutig und erheblich ist.[81] Beispiele für in diesem Sinne evidente Wertminderungen sind etwa der Erwerb einer vermeintlich garantierten Forderung gegen einen Schuldner mit in Wahrheit geringer Bonität oder die Vergabe eines nicht ausreichend besicherten Kredits an einen ebensolchen Schuldner.[82] In weiteren – jenseits des Eingehungsbetruges in seinen unterschiedlichen Facetten – paradigmatischen Fällen des Gefährdungsschadens, wie etwa dem Beweismittelbetrug[83] oder dem gutgläubigen Erwerb[84], lassen sich kaum verallgemeinerungsfähige Beispiele bilden. Jedenfalls wird in beiden Fallgruppen ein nach hiesigem Verständnis evidenter Vermögensverlust nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen, weil eine Prognose dahingehend, dass ein noch bevorstehender bzw. laufender Prozess offenkundig zu Lasten des potentiellen Betrugsopfers enden wird, kaum einmal nachvollziehbar zu begründen sein dürfte.[85]
V. Fazit
Die aktuelle Kontroverse kann – in Anlehnung an die im Titel zugespitzte Frage – wie folgt bewertet werden: Die jüngste Rechtsprechung des 1. Strafsenats ist weder geeignet, eine kopernikanische Wende in der Schadensdogmatik auszulösen, noch hat der Senat das Problem des Gefährdungsschadens als „Scheinproblem“ entlarvt und damit das bisherige Verständnis falsifiziert, wie Galilei einst das geozentrische Weltbild. Die aktuelle Debatte sollte sich weniger auf die scheinbar weitreichenden Aussagen des Senats bzgl. der Entbehrlichkeit des Gefährdungsschadens konzentrieren, sondern auf das dahinterstehende – im modernen Wirtschaftsleben an Bedeutung zunehmende[86] – Sachproblem: die Abgrenzung von tatbestandslosen und tatbestandsmäßigen Vermögensgefährdungen. Diesbezüglich hat sich gezeigt, dass eine bilanzrechtsorientierte Herangehensweise durchaus ihre Berechtigung hat, während der vom 1. Strafsenat angedeutete Schritt hin zur Bilanzrechtsakzessorietät abzulehnen ist. Jenseits aller Kontroversen ist die Bewertung von Vermögensgegenständen im Strafrecht ein bislang ungelöstes Problem. Kohärente Antworten auf diese Sachfragen zu finden, bleibt jenseits zugespitzter Kontroversen die entscheidende Aufgabe von Dogmatik und Rechtsprechung. Der hier befürwortete Ansatz – das verhehlt der Verfasser nicht – führt kaum zu einer abstrakt-begrifflichen Restriktion des Tatbestandsmerkmals Vermögensschaden. Vielmehr bleibt es bei einer Einzelfallbetrachtung. Dies ist aber keine Kapitulation, sondern der rechtlich zu erfassenden Materie geschuldet. Das – sicher auch „dehnbare“ – Evidenzkriterium mag angesichts dessen als zusätzliche Mahnung für den Richter zur Zurückhaltung, als eine besondere Hürde vor der Annahme eines Gefährdungsschadens dienen. Bis auf weiteres bleibt an dieser Stelle nur die Quintessenz, dass ein guter Anwender der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens nur sein kann, wer dabei ein schlechtes Gewissen hat.
[1] Gesammelte Werke, Edition Suhrkamp, Band 3 (1967), S. 1261.
[2] So Naucke StV 1985, 187, dem zufolge „nicht erforscht“ ist, wer den Begriff der Vermögensgefährdung eigentlich erfunden habe.
[3] Riemann, Vermögensgefährdung und Vermögensschaden (1989), S. 49 f.
[4] Zu den Begrifflichkeiten Hefendehl, MK-StGB, Bd. 4 (2006), § 263 Rn. 566 m.w.N., der selbst von der „schädigenden Vermögensgefährdung“ spricht.
[5] BGH HRRS 2009 Nr. 318 = NStZ 2009, 330 = NJW 2009, 2390 m. krit. Anm. Rübenstahl; ferner Brüning ZJS 2009, 300. Die Entscheidung war Gegenstand eines Beitrags in der Rubrik NJW–Spezial (NJW 2009, 248), was man als Beleg für die Bedeutung der aktuellen Debatte werten mag.
[6] Vgl. zunächst BGH HRRS 2008 Nr. 522 = NStZ 2008, 457 m. krit Anm. Beulke/Witzigmann JR 2008, 430 und Klötzer/Schilling StraFo 2008, 305.
[7] NJW 2009, 2390, 2391.
[8] Grundlegend etwa Cramer, Vermögensbegriff und Vermögensschaden (1968), Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen (1993); Lenckner JZ 1971, 320 ff.; Riemann, a.a.O. (Fn. 3); aus jüngerer Zeit etwa Baumanns JR 2005, 227 ff.
[9] Ausführliche Aufarbeitung der Rechtsprechung zum Vermögensschaden bei Riemann, a.a.O. (Fn. 3), S. 28 ff.
[10] Bekanntlich wird allgemein davon ausgegangen, dass der Nachteil i.S.v. § 266 StGB und der Vermögensschaden i.S.d. Betrugstatbestandes im Wesentlichen identisch sind. Dazu pars pro toto Fischer, StGB, 56. A. (2009), § 266 Rn. 59.
[11] Vgl. bereits Schmidhäuser, BT, 2. A. (1982), 11/26.
[12] BGH HRRS 2007 Nr. 2 = BGHSt 51, 100 = BGH NStZ 2007, 583 m. Bespr. Saliger NStZ 2007, 545.
[13] BGH NStZ 2007, 583, 586 f.
[14] Kempf, in: FS für Volk (2009), S. 231 spricht von einer „bahnbrechenden Erkenntnis“.
[15] Saliger NStZ 2007, 545, 550 f.; Bernsmann GA 2007, 219, 230; Ransiek NJW 2007, 1727, 1729; zum Ganzen ferner Schünemann NStZ 2008, 430 ff. Vom Standpunkt dieser durchaus berechtigten Kritik lässt sich angesichts des aktuellen Diskussionsstandes sagen, dass ein systematisch fragwürdiger Ansatz für Restriktionsbemühungen heute der geringste Grund für Beunruhigung ist.
[16] Trotz der prinzipiell anerkannten Identität der Taterfolge bei den §§ 263, 266 StGB werden im Untreuekontext seit jeher besondere Restriktionen gefordert, v.a. weil dort im Gegensatz zum Betrug sowohl die Versuchsstrafbarkeit als auch besondere subjektive Merkmale fehlen, vgl. nur Saliger ZStW 112 (2000), 563 ff. Erst kürzlich hat das BVerfG (NJW 2009, 2370 ff.) eine Auslegung des Nachteilsbegriffs, die die schadensgleiche Vermögensgefährdung in den Tatbestand der Untreue einbezieht, als verfassungsgemäß gewertet, zugleich aber ein besonderes Restriktionsbedürfnis bei § 266 StGB anerkannt.
[17] A.a.O. (Fn. 6).
[18] Siehe Fischer StraFo 2008, 269 einerseits und Nack StraFo 2008, 277 andererseits.
[19] BGH HRRS 2008 Nr. 568 = BGHSt 52, 182; offenbar hat sich kurz vor Abgabe dieses Manuskripts der 3. Strafsenat (3 StR 576/08) in einem mündlichen Hinweis nach der Urteilsverkündung dem 1. Strafsenat angeschlossen, vgl. SZ v. 14.08.2009, S. 21. Sah Schünemann (NStZ 2008, 430, 431) zunächst noch eine Entscheidung durch den großen Strafsenat sich lediglich „am Horizont abzeichnen“, so nimmt diese bevorstehende Entwicklung damit nun deutlich schärfere Konturen an.
[20] So für den Beschluss aus dem Jahr 2008 Klötzer/Schilling StraFo 2008, 305.
[21] Vgl. dazu jüngst Kilian HRRS 2009, 285 ff.
[22] Allg. dazu instruktiv (im Untreuekontext) Hillenkamp NStZ 1981, 161 ff.
[23] Bei spekulativen Geldanlagen liegt ein vollendeter Betrug i.d.R. vor, wenn der Rückgewähranspruch der Investoren aufgrund besonderer Umstände – jenseits eines vertragsimmanenten Spekulationsrisikos – von Anfang an gefährdet war, etwa weil der Täter beabsichtigte, das Anlagekapital selbst zu verbrauchen, vgl. OLG Köln NStZ 2000, 481 f. m.w.N. Die Existenz des „Schneeballsystems“ ist ein solcher Umstand, denn dadurch wird eine über das „normale“ Spekulationsrisiko hinausgehende Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs begründet. Ob die Ansprüche gegen den Angeklagten allerdings tatsächlich völlig wertlos waren, wie der 1. Strafsenat meint, ist durchaus fraglich, vgl. Rübenstahl NJW 2009, 2392.
[24] Riemann (a.a.O.[Fn. 3], S. 7) schlägt den Begriff der schadensdarstellenden Vermögensgefährdung vor.
[25] Fischer StraFo 2008, 269, 271. Auf eine eigene, möglicherweise weniger missverständliche Begriffsschöpfung wird hier verzichtet.
[26] Vgl. bereits RGSt 16, 1, 11; seither – mit begrifflichen Ungenauigkeiten – st. Rspr., jüngst etwa BGH HRRS 2007 Nr. 1 = BGHSt 51, 165; aus der Lit. i. Erg. ebenso Lackner/Kühl, StGB, 26. A. (2007), § 263 Rn. 40; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. A. (2006), § 263 Rn. 45; Tiedemann, in: LK-StGB, 11. A. (1999), § 263 Rn. 172; Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. A. (2009), § 20 Rn. 97; krit. Naucke StV 1985, 187 f.; diff. Kindhäuser, in: NK-StGB, Bd. 2, 2. A. (2005), § 263 Rn. 301 ff.
[27] Vgl. Fischer, a.a.O. (Fn. 10), § 263 Rn. 71 m.w.N.; ders. StraFo 2008, 269, 271; zum Vermögensschaden beim Betrug jüngst instruktiv Satzger Jura 2009, 518 ff.
[28] Fischer StraFo 2008, 269, 271.
[29] Zusf. zum Vermögensbegriff Samson JA 1989, 510 ff.; Fehling/Faust/Rönnau JuS 2006, 18, 22 ff.; – jew. m.w.N.; umfassend Hefendehl, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 294 ff.
[30] Vgl. Arzt, a.a.O. (Fn. 26), § 20 Rn. 97; Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 168; Lenckner JZ 1971, 320, 321; Cramer, a.a.O. (Fn. 7), S. 125; Satzger Jura 2009, 518, 524; besonders prägnant jüngst Fischer NStZ – Sonderheft 2009, 8, 11.
[31] Das Begriffspaar „Substanzverlust/Gefährdungsschaden“ ist deutlich präziser, als dem Gefährdungsschaden einen „endgültigen“ oder „effektiven“ Schaden gegenüberzustellen. Zu beachten ist aber, dass auf der Ebene der Vermögensminderung auch in den Gefährdungsfällen i.d.R. ein Substanzverlust vorliegt und dass die Schwierigkeiten meist bei der möglichen Kompensation liegen.
[32] Und zwar in Höhe der Differenz zwischen Nennwert und dem Restwert der Forderung. Damit ist grundsätzlich richtig, dass zwischen dem sog. „endgültigen Schaden“ und dem Gefährdungsschaden kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer Unterschied besteht, vgl. Lackner, in: LK-StGB, 10. A. (1979), § 263 Rn. 152; Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 168, Fischer, a.a.O. (Fn. 10), § 263 Rn. 103.
[33] Offenbar anders aber Beulke/Witzigmann JR 2008, 430, 433.
[34] Vgl. Arzt, a.a.O. (Fn. 26), § 1 Rn. 29 u. § 11 Rn. 1.
[35] Zweifelnd insofern allerdings Fischer NStZ – Sonderheft 2009, 8, 12 f.
[36] Man darf der h.M. wohl unterstellen, dass sie nur „echte“ Gefährdungsschäden, bei denen das Vermögen effektiv gemindert wird, in den Tatbestand einbeziehen will und keine Gefährdungen ohne Vermögensrelevanz, auch wenn die Formulierungen bisweilen einem begrifflichen Wirrwarr gleichen. Alles andere wäre aber ein offener Verstoß gegen Art. 103 II GG. Zutr. zum Ganzen Fischer StraFo 2008, 269, 270 f.
[37] Der Kreditbetrug ist ein – praktisch bedeutsamer – Unterfall des Eingehungsbetruges, der wiederum eine Art „Grundfall“ des Gefährdungsschadens darstellt, vgl. dazu allg. Cramer, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 125 ff.
[38] Insofern zw. Beulke/Witzigmann JR 2008, 430, 433, wonach das Vermögen durch die Auszahlung der Valuta „lediglich gefährdet“ würde. Die Auszahlung mindert das Vermögen aber ersichtlich (vgl. oben[Fn. 31]), weshalb ein Schaden von einer möglichen Kompensation, also dem Wert des Rückzahlungsanspruchs abhängt.
[39] Ähnlich Perron GA 2009, 219, 227 f.; Fischer NStZ – Sonderheft 2009, 8, 11.
[40] Warum aber die in der Sache klar voneinander zu trennenden Schadensarten nur deshalb nicht weiterhin unterschiedlich bezeichnet werden sollten, weil sie auf einer höheren Ebene unter einem einheitlichen Oberbegriff zusammengefasst werden können, ist nicht ersichtlich. Dies ist vielmehr der wissenschaftlichen Klarheit und Präzision förderlich.
[41] Vgl. auch Fischer StraFo 2008, 269, 271.
[42] Die unterschiedlichen Ansätze des Schrifttums, von denen sich bislang keiner entscheidend durchsetzen konnte, bleiben hier – dem aktuellen Anlass des Beitrags sowie seinem Rahmen geschuldet – außer Betracht. Vgl. insofern die eingehende Darstellung und Kritik der einzelnen Positionen bei Hefendehl, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 540 ff.
[43] Vgl. die Darstellung möglicher Kriterien für die Annahme einer Einzelwertberichtigung von Forderungen bei v. Heynitz/Jörg BC 2003, 97, 98; Winnefeld, in: Winnefeld, Bilanzrechts-Handbuch, 4. A. (2006), Rn. 1229 m.w.N.
[44] Winnefeld, a.a.O. (Fn. 43), Rn. 444; Wimmer/Kusterer DStR 2006, 2046, 2051; Böcking/Löw/Wohlmannstetter, in: MK-HGB, 2. A. (2008), § 340e Rn. 38 ff.
[45] Die Pauschalwertberichtigung kann im Strafrecht dagegen keine Rolle spielen, denn ein unbestimmtes „allgemeines Ausfallrisiko“ ist ersichtlich keine tatbestandsmäßige Gefährdung, vgl. auch Hefendehl, in: Schünemann/Tiedemann (Hrsg.), Strafrechtssystem und Betrug (2002), S. 185, 244. Letztlich bringt die Pauschalwertberichtigung zum Ausdruck, wie unsicher schon die Voraussetzungen einer Einzelwertberichtigung sind, denn ihr liegt ja gerade der Gedanke zugrunde, dass diese nicht alle eigentlich zu berichtigenden Forderungen erfasst. Grds. krit. zur Pauschalwertberichtigung Wimmer/Kusterer DStR 2006, 2046, 2051 f.
[46] Die Belege des Senats aus dem handelsrechtlichen Schrifttum stammen z.T. aus unterschiedlichen Kontexten, insbesondere aus dem deutschen Handelsrecht einerseits und dem US-Amerikanischen Bilanzrecht andererseits, denen keineswegs identische Prinzipien zugrunde liegen, vgl. Rübenstahl NJW 2009, 2392, 2393.
[47] Insbesondere seit jeher vom Vorsitzenden des 1. Strafsenats Nack, zuletzt in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. A. (2006), § 48 Rn. 25 ff. und § 50 Rn. 69 ff.; umfassend Hefendehl, Vermögensgefährdung, der den Begriff „Modellcharakter des Bilanzrechts“ (ders., a.a.O.[Fn. 4], Rn. 450) geprägt hat; zust. Schünemann, in: LK-StGB, 11. A., § 266 Rn. 134.
[48] Beispiele bei Hefendehl, Vermögensgefährdung (Fn. 8), S. 166 ff.
[49] Vgl. Kempf, a.a.O. (Fn. 13), S. 242, dessen Vorwurf, § 266 StGB werde „zum Bilanzdelikt umfunktioniert“, so nicht haltbar ist. Es geht nicht um Verstöße gegen Bilanzrichtlinien als Vermögensschaden, sondern um die Anwendung bilanzrechtlicher Kriterien bei der Vermögenssaldierung.
[50] Vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Vermögenssaldierung Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 161; Hefendehl, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 454; zutr. zum Ganzen Nack StraFo 2008, 277, 278 und bereits oben unter III.
[51] So auch Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 172. Dass es sich bei entsprechenden Bewertungen „nur“ um Prognosen und nicht um „Feststellungen in der Vergangenheit liegender Tatsachen“ handelt (Kempf, a.a.O.[Fn. 13], S. 240), ist insofern kein Argument für die Unvereinbarkeit mit dem Strafrecht. Denn eine Prognose bzgl. der Realisierbarkeit einer Forderung ist auch dort zur notwendigen Ermittlung des aktuellen Wertes im Zeitpunkt der Vermögensverfügung unentbehrlich. I. Ü. gibt – wie gleich noch zu zeigen ist – es den Wert von Vermögen i.S. einer Tatsache nicht.
[52] Hefendehl, a.a.O. (Fn. 4),Rn. 450.
[53] M.a.W.: Ein Vermögensschaden ist ein Verlust an Vermögen, also eine Minderung des Tauschwertes. Das Bilanzrecht ermöglicht für jeden Vermögensgegenstand die Darstellung dieses Tauschwertes.
[54] Hefendehl, Straftatsystem (Fn. 45), S. 248.
[55] Sehr krit. daher Kempf, a.a.O. (Fn. 13), S. 240 f.
[56] Vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 33. A. (2008), § 252 Rn. 10; Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. A. (2008), § 252 Rn. 25 ff.
[57] Vgl. zu dieser Inkompatibilität von handels- und strafrechtlichem „Zweifelssatz“ Kempf, a.a.O. (Fn. 13), S. 240 f.
[58] Zusf. m.w.N. Merkt, a.a.O. (Fn. 56), § 253 Rn. 25 ff., auch zur Unterscheidung zwischen zulässigen stillen Reserven i.w.S. und den umstr. stillen Reserven i.e.S., also der bewussten Unterbewertung durch den Bilanzierungspflichtigen jenseits des gesetzlich zulässigen Buchwertes.
[59] Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 265b Rn. 73
[60] Dies meint der Senat womöglich, wenn er in der Entscheidung zur Untreue (NStZ 2008, 457 a.E.) davon spricht, dass „verbleibende Unwägbarkeiten zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden müssen“.
[61] Vgl. Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 265b Rn. 73; eindringlich zur Harmonisierung von Bilanzrecht und Strafrecht Hefendehl, Vermögensgefährdung (Fn. 8), S. 173 ff., der neben dem Überschuldungsstatus v.a. die Grundsätze der Unternehmensbewertung („Substanzwert“) heranzieht.
[62] Nachweise bei Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), Vor § 283 Rn. 158.
[63] Vgl. zu den Methodenwahlrechten in der Handelsbilanz Winnefeld, a.a.O. (Fn. 43), Rn. 325; zu aktuellen Entwicklungen durch das „BilMoG“ Zündorf, in: Küting/Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht (2008), S. 83 ff.; zur Unternehmensbewertung K. Schmidt, in: MK-HGB, 2. A. (2006), § 131 Rn. 140 ff.; zum Überschuldungsstatus Förschle/Hoffmann, in: Budde/Förschle/Winkeljohann, Sonderbilanzen, 4. A. (2008), Kap. P. Rn. 90 ff., – jew. m.w.N.
[64] Vgl. Winnefeld, a.a.O. (Fn. 43), Rn. 325: „keinen absolut richtigen Wert“; ferner Thiel/Lüdtke–Handjery, Bilanzrecht, 5. A. (2005), Rn. 506, wonach die Bewertung „kein Erkenntnisprozess“, sondern „ein zweck- und zielgerichteter Entscheidungsprozess“ ist.
[65] Vgl. bereits Lenckner JZ 1971, 320, 321.
[66] Vgl. Hefendehl, Straftatsystem (Fn. 45), S. 197.
[67] Beulke/Witzigmann (JR 2008, 430, 434) bemängeln insofern zu Recht eine geringe Aussagekraft, räumen aber ebenfalls ein, dass in der bisherigen Diskussion keine überzeugenden Kriterien entwickelt wurden.
[68] Vgl. Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 172 a.E., der den einzelfallorientierten Ansatz der Rechtsprechung im Grundsatz für zutreffend hält. Umso bedeutender ist die ausführliche Herausarbeitung von Fallgruppen, vgl. insbesondere Hefendehl, Vermögensgefährdung (Fn. 8), S. 256 ff.; ferner etwa Samson/Günther, in: SK-StGB, 5. A., 37. Lfg.[Juni 1996], § 263 Rn. 167a ff. und 178 ff.; Cramer, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 143 ff. Hierdurch wird oft ein plausibler Weg zur richtigen Entscheidung vorgegeben, ohne dass die erneute Bewertung des Einzelfalles unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände obsolet würde.
[69] Demnach erfordert ein strafrechtlich relevanter Verstoß ein völlig unvertretbares Verhalten, das den gesicherten Kernbereich des jeweiligen Rechtsbegriffs berührt. Ausführlich Tiedemann, in: FS für Dünnebier (1982), S. 519, 530 ff.; ders., in: FS für Lackner (1987), S. 737, 746 f.; ders., in: FS für Tröndle (1989), S. 319, 327 ff.
[70] Zusf. Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 912 m.w.N.
[71] Vgl. Fischer, a.a.O. (Fn. 10), § 265b Rn. 28 m.w.N., auch zu abweichenden Ansätzen; ferner Tiedemann, in: FS für U. Weber (2004), S. 319, 325 f.
[72] Dazu Tiedemann, GmbH-Strafrecht, 4. A. (2002), Vor §§ 82 ff. Rn. 74 m.w.N.
[73] So Radtke, in: MK-StGB, Bd. 4 (2006), Vor §§ 283 ff. Rn. 62; Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), Vor § 283 Rn. 158, – jew. m.w.N.
[74] Und zwar die im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG eingeschränkte Übertragbarkeit von Elementen aus anderen Rechtsgebieten in das Strafrecht.
[75] Ähnlich bereits Lenckner JZ 1971, 320, 321 a.E.: „sollte auf einen engen, wenigstens relativ eindeutigen Kernbereich“ reduziert werden.
[76] Ob die Anwendungspraxis bei den Instanzgerichten diesem Idealtypus in der Vergangenheit immer gerecht geworden ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.
[77] Aus den Urteilsgründen muss klar hervorgehen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände ein evident erkennbarer Vermögensverlust angenommen wurde. Die Plausibilität einer solchen Annahme ist dann revisionsgerichtlich überprüfbar.
[78] Vgl. zur Bedeutung eines „Expertenurteils“ im Kontext von Ratingagenturen im Bankwesen – zu § 266 StGB – jüngst Brüning/Samson ZIP 2009, 1089, 1092.
[79] Vgl. dazu Lenckner/Eisele, a.a.O. (Fn. 26), Vor §§ 13 ff. Rn. 52 ff. m.w.N.
[80] Vgl. auch Gribbohm ZGR 1990, 1, 27, der – im Untreuekontext –kritisiert, die Strafbarkeit dürfe nicht vom Ergebnis einer unter Zuziehung von Sachverständigen ermittelten Bilanzierung abhängen.
[81] Ähnlich für die Überschuldung im Strafrecht Tiedemann, a.a.O. (Fn. 26), Vor § 283 Rn. 158: „qualifizierte, eindeutige und erhebliche Überschuldung“.
[82] Nack (StraFo 2008, 277, 280) spricht vom Erfordernis eines „signifikanten Ausfallrisikos“, was in der Sache dem hier befürworteten Evidenzkriterium durchaus nahe stehen dürfte.
[83] Cramer, a.a.O. (Fn. 26), § 263 Rn. 146 f. m.w.N.
[84] Samson/Günther, a.a.O. (Fn. 68), § 263 Rn. 179 f. m.w.N.
[85] Denkbar wäre dies für den Beweismittelbetrug etwa, wenn der Täter sich ein mit dem materiellen Recht nicht übereinstimmendes Schriftstück erschleicht, dass eine unmittelbare Anspruchsdurchsetzung gegenüber dem Opfer – z.B. im Wege des Urkundsprozesses – ermöglicht und aufgrund aller Umstände des Einzelfalles feststellbar ist, dass die prozessuale Verteidigung dagegen von vornherein praktisch aussichtslos ist.
[86] Vgl. Hefendehl, Straftatsystem (Fn. 44), S. 186 f.