Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen
– Pressestelle –
Pressemitteilung vom 05.07.2013
Der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) in Bremen hat durch Beschluss vom 28.06.2013 in einem Revisionsverfahren die Verurteilung eines Rechtsanwaltes wegen Beleidigung (§ 185 StGB) eines Richters bestätigt (Az. 2 Ss 35/13). Das Landgericht Bremen hatte gegen den Rechtsanwalt eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (eine Art „Geldstrafe zur Bewährung“) verhängt, weil der angeklagte Rechtsanwalt dem Richter unterstellte, Auffassungen zu vertreten, wie sie zuletzt in den Nürnberger Rassegesetzen vertreten wurden.
Folgender Sachverhalt lag der Verurteilung zu Grunde: Am 04.04.2005 stellte eine auswärtige Ausländerbehörde beim Amtsgericht Bremen einen Antrag auf Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung betreffend einen nigerianischen Staatsangehörigen. Dieser lebte in Deutschland mit einer deutschen Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter zusammen. Der Festgenommene wurde umgehend dem zuständigen Vorermittlungsrichter vorgeführt. Vor der eigentlichen Anhörung kam es im Flurbereich zu einem Gespräch zwischen dem Rechtsvertreter des Festgenommenen, dem Angeklagten, und dem zuständigen Richter. Der Angeklagte wies den Richter darauf hin, dass sein Mandant ein Kind in Deutschland habe. Dem Richter war die Vaterschaft des Mandanten aus der Akte bekannt. Im Laufe der Unterhaltung erregte sich der Angeklagte immer mehr. Er wiederholte mehrfach, dass sein Mandant ein Kind habe. Der Richter äußerte sinngemäß, dass seinem Mandanten dessen prekäre ausländerrechtliche Situation bekannt gewesen sein müsste, als er Vater geworden sei. Möglicherweise merkte er sinngemäß noch an, der Betroffene hätte die richtige Reihenfolge, zunächst die Beschaffung einer Aufenthaltsgestattung und anschließend die Vaterschaft, einhalten sollen.
Der Angeklagte verstand die Bemerkung dahingehend, dass der Richter der Auffassung sei, sein Mandant benötige eine behördliche Erlaubnis, um mit einer deutschen Frau ein Kind zu zeugen. Er forderte sodann den Richter auf, ihm den Satz nachzusprechen, der Mandant als Afrikaner sei berechtigt, eine deutsche Frau zu ficken und ihr ein Kind zu machen. Als der Richter auch auf die wiederholte Aufforderung den Satz nachzusprechen nicht reagierte, sagte der Angeklagte zu
ihm Folgendes: „Sie werden diesen Satz nicht über Ihre Lippen bringen, weil er gegen ihre Auffassungen verstößt. Sie vertreten hier Auffassungen, die in diesem Staat zuletzt 1934 (gemeint ist offensichtlich 1935) mit den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden sind“. Der Zeuge brach daraufhin das Gespräch ab und stellte einen Strafantrag wegen Beleidigung. Der Angeklagte wurde deswegen am 17.06.2006 durch das Amtsgericht Bremen zu einer Geldstrafe verurteilt, auf seine Berufung hin aber am 02.06.2009 durch das Landgericht Bremen zunächst freigesprochen. Nach Aufhebung des Freispruchs durch das OLG Bremen am 05.11.2010 hat das Landgericht Bremen ihn am 15.01.2013 erneut schuldig gesprochen und verwarnt. …
Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg. Das OLG Bremen hat die Äußerung des Angeklagten: „Sie werden diesen Satz nicht über Ihre

Lippen bringen, weil er gegen ihre Auffassungen verstößt. Sie vertreten hier Auffassungen, die in diesem Staat zuletzt 1934 mit den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden sind“, als Beleidigung angesehen. Die Äußerung des Angeklagten unterstelle dem Richter, dass dieser die im höchsten Maße menschenverachtende Auffassung der Nationalsozialisten teile. Dabei handele es sich um einen schwerwiegenden Angriff auf die Ehre und einen kaum hinnehmbaren Ausdruck der Missachtung. Diese Äußerung sei auch nicht gemäß §193 StGB im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen des als Rechtsanwalt tätigen Angeklagten gerechtfertigt gewesen. Denn diese Vorschrift rechtfertige nicht die Ausübung von sogenannter Schmähkritik, dass also nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – wie hier – die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe.


Anmerkung: Ich kann die Verurteilung wegen Beleidigung nicht nachvollziehen,  jedenfalls nicht mit der dortigen Begründung. Aus meiner Sicht ist selbst der krasse Vergleich mit den Nürnberger Rassegesetzen noch im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind auch derartige Äußerungen hinzunehmen, wenn sie nicht gänzlich aus dem Zusammenhang fallen. Diesen Zusammenhang allerdings hat der betroffene Richter selbst hergestellt, in dem er (möglicherweise und zugunsten des Angeklagten zu unterstellen) die Bemerkung hat fallen lassen, der von der Abschiebung bedrohte Afrikaner hätte besser die richtige Reihenfolge einhalten sollen. Ich erachte eine derartige Äußerung für höchst provokant, so dass die Antwort des Rechtsanwaltes noch nicht die Grenze zur Schmähkritik überschritten haben dürfte.
Umgekehrt jedoch erachte ich die mehrfache Aufforderung des Rechtsanwaltes an den Richter, ihm den oben benannten Satz nachzusprechen, nicht mehr im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt, ich komme also in diesem Zusammenhang zu der Verwirklichung des Straftatbestandes der Beleidigung, weil diese eben auch nicht nur hinsichtlich der Wortwahl eindeutig den Intimbereich des Beleidigten betraf. Dies allerdings haben die Richter offenkundig genau umgekehrt gesehen. Man kann sich bei dem hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt des Eindruckes nicht erwehren, als sei alles, was im weiteren Sinne mit dem Nationalsozialismus zu tun hat, grundsätzlich eher „beleidigungstauglich“ als noch so abstruse Angriffe auf andere Bereiche der Persönlichkeit.