Nachfolgend ein Beitrag vom 8.9.2017 von Paschke/Halder, jurisPR-ITR 18/2017 Anm. 3

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die identifizierende Berichterstattung über eine Privatperson, die über Facebook „Hassnachrichten“ öffentlich zugänglich macht, ist nach einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit unter Berücksichtigung des öffentlichen Informationsinteresses und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zulässig.

A. Problemstellung

Das OLG Saarbrücken hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob es presserechtlich zulässig ist, identifizierend über Nutzer von Facebook zu berichten, die über ihr Facebook-Konto Hate-Speech (Hassbotschaften) verbreiten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger begehrte von zwei Presseunternehmen, welche eine Pressewebseite und ein Internet-Journal betreiben, in zwei parallelen Verfahren (Az. 5 U 16/16, Az. 5 U 17/16) Unterlassung der Berichterstattung über seine Person. Die Beklagten hatten zuvor identifizierend über seinen Facebook-Beitrag berichtet, der eine „Hassbotschaft“ enthielt, die auch als Billigung von Tötungsdelikten aufgefasst werden kann. Der Beitrag war neben vielen anderen (Zustimmung bekundenden) Beiträgen durch Dritte auf der Facebook-Seite des sehr umstrittenen und bereits wegen Volksverhetzung und Beleidigung verurteilten Schriftstellers Akif Pirinçci veröffentlicht worden, nachdem dieser hierüber zuvor einen Hetzbeitrag über eine Wissenschaftlerin publiziert hatte.
Der Facebook-Beitrag des Klägers sowie sein -Account wurden zwischenzeitlich gelöscht. Die Berichte über diese Entgleisung des Klägers wurden über die Webseiten der Beklagten veröffentlicht und sind noch in deren Online-Archiv vorhanden.
Der Kläger bestritt die Urheberschaft dieses Beitrags und verlangte Unterlassung der identifizierenden Berichterstattung. So hat der Kläger u.a. vorgetragen, eine unbekannte Person hätte eine Identitätstäuschung begangen und unter seinem Namen diverse Kommentare verfasst, vermutlich ermöglicht durch „hacken“ des Passworts. Eine Internetsuche nach seinem Namen würde ihn unmittelbar als Urheber dieses Posts identifizieren, zumal er, soweit ersichtlich, die einzige Person Deutschlands mit diesem Namen sei. Eine Abkürzung seines Namens würde zudem dem Öffentlichkeitsinteresse ebenfalls gerecht werden.
Nachdem der Kläger vor dem LG Saarbrücken die Unterlassungstitel (03.03.2016 – 4 O 165/15 und 11.03.2016 – 4 O 166/15) erwirken konnte, hat das OLG Saarbrücken die erstinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben und die Unterlassungsklagen abgewiesen.
Nach einer Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers mit der Meinungs- und Pressefreiheit der Presseunternehmen kam es zu dem Schluss, dass die ursprüngliche Berichterstattung zulässig war. Aber auch das weitere Bereitstellen im Internet sei zulässig.
Die Abwägungsentscheidung begründete das OLG Saarbrücken zunächst damit, dass die Beklagten nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung keine Veranlassung hatten, Recherchen zu der Identität des Verfassers anzustellen. Sie durften davon ausgehen, dass sich über den Facebook-Account auch tatsächlich die berechtigte Person geäußert hatte. Das Gericht würdigte das Vorgetragene ausführlich und gelangte im Ergebnis zu der Überzeugung, dass der Kläger die gegenständliche Nachricht selbst gepostet hatte. Auch die namentliche Nennung des Klägers änderte nichts an der Abwägungsentscheidung des Gerichts. Die Presse hätte auch die Aufgabe, Verfehlungen konkreter Personen aufzuzeigen und darf nicht auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. So könne diese Vorgehensweise durchaus als zulässiges Mittel gesehen werden, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Missstand von Hassbotschaften im Internet zu lenken. Gleiches gelte für eine fortdauernde Bereitstellung der Berichterstattung im Internet. Durch den Post des Klägers habe sich dieser freiwillig in die Öffentlichkeit begeben, weswegen er durch die Berichterstattung nur in seiner Sozialsphäre berührt sei. Durch die schlichte Wiedergabe des klägerischen Posts kann auch weder eine unzulässige Anprangerung noch eine diffamierende Schmähung angenommen werden. Durch das fortbestehende Interesse der Öffentlichkeit an den Geschehnissen sei ferner auch ein Zeitablauf nicht geeignet, ein anderes Ergebnis herbeizuführen. Dass das Persönlichkeitsrecht des Klägers letztlich aufgrund der Seltenheit seines Namens und der technischen Möglichkeiten in besonderem Maße beeinträchtigt sein mag, müsse bei dem entsprechenden Vorverhalten des Klägers hingenommen werden und könne nicht zulasten der Beklagten gehen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken fügt sich vermeintlich in eine große Reihe presse- bzw. medienrechtlicher Entscheidungen zur Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes im Rahmen der Berichterstattung ein (vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.11.2012 – VI ZR 330/11; BGH, Urt. v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12; BGH, Urt. v. 22.02.2011 – VI ZR 346/09; BVerfG, Beschl. v. 10.06.2009 – 1 BvR 1107/09; kritisch zu diesen Entwicklungen Schertz, NJW 2013, 721). Auch im vorliegenden Fall geht es um die Frage, inwieweit jene (Privat-)Personen, deren Verhalten Anlass zu einer im öffentlichen Interesse stehenden thematischen Aufbereitung gegeben hat, mit Klarnamen bzw. weiteren identifizierenden Merkmalen genannt werden dürfen. Medienberichterstattung steht damit nicht nur unter dem Vorbehalt des „Ob“, sondern auch des „Wie“ der Darstellung. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass es keinen generellen Schutz davor gibt, namentlich in einem Bericht benannt zu werden (vgl. Söder in: Gersdorf/Paal, Medien- und Informationsrecht, 2014, § 823 BGB Rn. 214, unter Verweis auf BGH, Urt. v. 13.01.2015 – VI ZR 386/13 Rn. 8 f.), denn die Presse ist in der Wahl der Form der Berichterstattung grundsätzlich frei (Kühling in: Gersdorf/Paal, Medien- und Informationsrecht, Art. 5 GG Rn. 52).
Die Problematik stellt sich in besonderem Maße hinsichtlich der Berichterstattung über Privatpersonen, weil bei diesen – anders als bei Personen des öffentlichen Lebens – die Person im Hintergrund und das sachliche Thema der Berichterstattung im Vordergrund stehen muss. Im Rahmen der Abwägung genießen deshalb Privatpersonen einen höheren Schutz (Söder in: Gersdorf/Paal, Medien- und Informationsrecht, § 823 BGB Rn. 77). Aus diesem Grund hat es sich auch in der Praxis bewährt, bei der seriösen Berichterstattung die Namen von Privatpersonen abzukürzen und auch nur eingeschränkt Bilder zu veröffentlichen, auf denen der Betroffene identifiziert werden könnte. Anders mag dies in Fällen sein, in denen die betroffene Person derart in der Öffentlichkeit steht, dass es ein spezifisches Interesse an einer Klarstellung auch zu ihrer Person gibt. Klarstellung bedeutet in einem solchen Kontext freilich auch Bloßstellung. Insofern darf die Prangerwirkung solcher Berichterstattung nicht geringgeschätzt werden. Es ist daher durchaus fraglich, ob der Persönlichkeitsschutz im vorliegenden Fall hinter das Medieninteresse treten durfte.
Dies gilt letztlich auch in der Konstellation, dass der Betroffene mit einer Äußerung in sozialen Netzwerken selbst in die Öffentlichkeit gegangen ist, wenngleich in diesem Fall nur die (weniger geschützte) Sozialsphäre betroffen ist (Söder in: Gersdorf/Paal, Medien- und Informationsrecht, § 823 BGB Rn. 166). Hier ist nämlich die Verstärkungs- und Perpetuierungswirkung von Print- und speziell bei frei verfügbaren Onlinemedien ihrer Breitenwirkung zu beachten. Während ein Posting durch den Betroffenen kurzfristig gelöscht und in seiner Breitenwirkung beschränkt werden kann (wie hier tatsächlich geschehen), wirkt klassische Presseberichterstattung nachhaltig und erschließt auch neue Empfängerkreise. Eine mögliche Verlinkung bzw. das Framing der Nachrichten ist damit weniger einschneidend, da der Urheber den ursprünglichen Inhalt damit selbst entfernen kann. Diese Aspekte hätten in der Abwägung berücksichtigt werden sollen. Die durch das Gericht an dieser Stelle zitierten Entscheidungen betreffen zudem gerade keine vergleichbaren Fälle von Privatpersonen.
Das Gericht stellt mit Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Recht fest, dass insbesondere bei Straftaten, „die sich in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abheben, […] ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information auch über Tat und Person des Täters anzuerkennen sein [kann]“ (Rn. 35). In einem solchen Fall wird die Abwägung des Persönlichkeitsrechts hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten. „Das beruht auf der Überlegung, dass derjenige, der den Rechtsfrieden bricht und durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern auch dulden muss, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird“ (Rn. 36).
Allerdings überträgt das Gericht diese Auffassung ohne Begründung auf jedes sonstige – nicht notwendig strafrechtlich relevante – gravierende Fehlverhalten. Ein solches Fehlverhalten wird dem Kläger augenscheinlich aber ohne nähere Begründung durch das Gericht zur Last gelegt. Dieser Rückschluss ist äußerst kritisch zu sehen. Selbst im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung bei schweren Straftaten würde danach der Angeklagte über einen höheren Persönlichkeitsrechtsschutz verfügen als derjenige, der ein gravierendes (moralisches?) Fehlverhalten begangen hat. Die Entscheidung lässt jedoch offen, wer die moralische Instanz sein kann, die über derartige Verfehlungen zu entscheiden hat. Hassnachrichten im Internet sind leider ein Massenphänomen. In diesem Bewusstsein wurde auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) am 30.06.2017 vom Parlament beschlossen (vgl. BT-Drs. 18/12727). Hasspostings im Internet heben sich in ihrer „Begehungsweise und Schwere“ nicht von gewöhnlicher Kriminalität bzw. „normalem“ Fehlverhalten ab. Mithin kann das zweifellos geschmacklose Posting des Klägers auch nicht als ein gravierendes Fehlverhalten gewertet werden, welches den oben genannten Maßstab der Berichterstattung über gravierende Straftaten sich zu eigen macht. Andere Gründe für die Zulässigkeit der Berichterstattung sind nicht ersichtlich, insbesondere sonstige die Öffentlichkeit wesentlich berührende Fragen im politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder gesellschaftlichen Bereich (vgl. Breutz in: Paschke/Berlit/Meyer, HH-Ko MedienR, 3. Aufl. 2016, Kap. 39 Rn. 46 unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 24.06.2004 – 59320/00 „Hannover ./. Deutschland“). Aus diesem Grund kann vorliegend davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Privatperson hinter dem Posting keine Persönlichkeitsrechtsverletzung rechtfertigen kann.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Phänomen Hate-Speech ist insbesondere im Internet aufgrund seiner Breitenwirkung für ein friedliches Zusammenleben in einer heterogenen demokratischen Gesellschaft eine Gefahr. Social-Media-Angebote beschleunigen die Kommunikation, schaffen aber leider auch eine Plattform für Hassbotschaften und digitale Straftaten. Daher sollten strafrechtlich relevante Äußerungen umfassend durch die Strafverfolgung begegnet werden. Die selektive identifizierende Berichterstattung einzelner durch die Presse kann hingegen nicht die Lösung sein. Vielmehr werden auf diesem Wege einzelne herausgegriffen und neuer Hass und Demütigungen provoziert. Die durch eine nichtverantwortungsvolle Berichterstattung erzeugte Prangerwirkung bei Privatpersonen kann nach vorliegender Auffassung im Regelfall nicht von einer Interessenabwägung zwischen der Meinungsfreiheit unter Berücksichtigung des öffentlichen Informationsinteresses und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gedeckt sein. Sollte ein digitales Fehlverhalten nicht strafbar und ggf. durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein, kann ein staatliches Dulden einer anschließenden auf Tatsachen beruhenden Diffamierung einer Privatperson in der Presse wiederrum einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG darstellen.