BGH, Urteil vom 24. September 2009 – 4 StR 347/09 –, juris

Orientierungssatz

1. Ob ein Schuh am Fuße des Täters als ein gefährliches Werkzeug anzusehen ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalles entscheiden. Erforderlich ist dazu regelmäßig, dass es sich entweder um einen festen schweren Schuh handelt, oder dass mit einem „normalen Straßenschuh“ mit Wucht oder zumindest heftig dem Tatopfer in das Gesicht oder andere besonders empfindliche Körperteile getreten wird.

2. Mehrere heftige Tritte eines Polizeibeamten in den Bauch einer am Boden liegenden, alkoholisierten und in ihrer Verteidigungsfähigkeit eingeschränkten Person stellen auch ohne sichtbare Verletzungen oder Beschwerden des Opfers eine gefährliche Körperverletzung im Amt dar.

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29. Januar 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe der gefährlichen Körperverletzung im Amt schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten werden verworfen.

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Körperverletzung im Amt und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die wirksam auf die Verurteilung im Fall II. 1 der Urteilsgründe beschränkte und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Das ebenfalls auf die Verurteilung im Fall II. 1 der Urteilsgründe beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat einen Teilerfolg und führt zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs.

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Im Fall II. 1 der Urteilsgründe hat das Landgericht u.a. Folgendes festgestellt:

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Am Abend des 6. Januar 2007 wurden der Angeklagte, ein Polizeikommissar z.A., und die Polizeibeamtin S.  als Besatzung eines Funkstreifenwagens zu einem Einsatz in die Innenstadt von Dortmund gerufen, nachdem die unter Einfluss von Alkohol und Medikamenten stehende Ehefrau des Geschädigten, die Zeugin K., auf dem Rückweg von einer Feier auf dem Gehweg zusammengebrochen war und der Ehemann der Zeugin und spätere Geschädigte K., der ebenfalls stark unter Alkoholeinfluss stand (Blutalkoholkonzentration: 3 ‰), den Abtransport seiner hilflos am Boden liegenden Ehefrau in ein Krankenhaus gewaltsam zu verhindern versuchte. Nachdem die Zeugin K. trotz anhaltenden Widerstandes ihres Ehemannes, der deswegen von dem Angeklagten zu Boden gebracht werden musste, mit dem Rettungswagen abtransportiert worden war, beabsichtigten der Angeklagte und seine Kollegin nunmehr, den Geschädigten zur Ausnüchterung in Gewahrsam zu nehmen und ihm zu diesem Zweck die Hände zu fesseln. Dadurch sollten Auseinandersetzungen mit unbeteiligten Passanten verhindert und die Vollstreckung des dem Geschädigten gegenüber ausgesprochenen Platzverweises gewährleistet werden. Dem widersetzte sich der immer noch auf dem Boden liegende Geschädigte erneut, u. a. durch wildes Strampeln, und biss die Beamtin S. durch deren Jeanshose oberhalb des Knöchels in den unteren Bereich des rechten Schienbeins. Die Polizeibeamtin S. versetzte dem Geschädigten daraufhin mindestens zwei kurze Schläge auf den Kieferknochen oder direkt in sein Gesicht, um ihn zur Lockerung des Bisses zu veranlassen. Ohne Absprache mit ihr trat der Angeklagte im Anschluss daran mehrfach mit seinem Fuß, an dem er einen Dienstschuh trug, nicht bloß leicht, sondern durchaus heftiger in die Bauchgegend des Geschädigten, wobei dieser jeweils kurz aufschrie.

I.

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Zur Revision des Angeklagten:

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Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.

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1. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

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Insbesondere musste die Strafkammer nicht in Erwägung ziehen, dass der Angeklagte seine Tritte lediglich gegen die Hand des Geschädigten, nicht aber in dessen Bauchgegend ausgeführt hatte. Entgegen der Auffassung der Revision lag dieser alternative Tathergang nach den dazu getroffenen Feststellungen fern. Zwar konnten die als Zeugen vernommenen Eheleute D. wegen der Entfernung zum Geschehen keine genauen Angaben zur Zielrichtung der Tritte machen. Die Revision übersieht jedoch, dass die Strafkammer ihre Feststellungen insoweit maßgeblich auf die Aussage des Zeugen A. gestützt hat, der das Geschehen von seinem Kiosk aus beobachtet und dabei das Gesicht des Geschädigten im Blick gehabt hat. Dieser Zeuge war sich, so die Strafkammer, ganz sicher, dass der aufrecht stehende Angeklagte mit seinem rechten Bein mehrmals in die Bauchgegend des mit der linken Körperseite auf dem Boden liegenden Geschädigten getreten hatte.

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2. Die Urteilsfeststellungen bieten auch keine Grundlage für die Annahme der Revision, die Tritte des Angeklagten auf den Geschädigten könnten gemäß § 32 StGB unter dem Gesichtspunkt einer Nothilfe für die Polizeibeamtin S. gerechtfertigt gewesen sein, weil diese von dem Geschädigten in ihr rechtes Schienbein gebissen wurde. Selbst wenn dieser rechtswidrige Angriff des Geschädigten auf die Beamtin noch angedauert haben sollte, als der Angeklagte zutrat (was angesichts der Schreie des Geschädigten ohnehin fern liegt), waren solche heftigen Tritte gegen den Bauchbereich des erkennbar stark alkoholisierten, auf dem Boden liegenden Geschädigten zur Abwehr des Angriffs keinesfalls geboten (§ 32 Abs. 1 StGB) und im Übrigen – unter Berücksichtigung polizeirechtlicher Befugnisse zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises durch unmittelbaren Zwang – auch nicht verhältnismäßig. Zudem hat sich der Angeklagte vor dem Landgericht nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen.

II.

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Zur Revision der Staatsanwaltschaft:

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1. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe sich durch die Tritte in den Bauchbereich des Zeugen K., die nicht mehr von der dienstlichen Handlung – Vollstreckung des Platzverweises – gedeckt gewesen seien, wegen einer Körperverletzung im Amt im Sinne von § 340 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Eine gefährliche Körperverletzung im Amt im Sinne der §§ 340 Abs. 3, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB liege dagegen nicht vor. Gemeinschaftliches Handeln zwischen dem Angeklagten und seiner Kollegin habe nicht festgestellt werden können. Der Angeklagte habe die Tat auch nicht unter Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs, nämlich des mit dem Dienstschuh bekleideten Fußes ausgeführt. Ein gefährliches Werkzeug liege nur dann vor, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet sei, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Hier fehle es aber an der potentiellen Gefährlichkeit der konkreten Benutzung des beschuhten Fußes. Auch wenn die Tritte des Angeklagten in den Bauchbereich des Geschädigten durchaus fester gewesen seien, korrespondierten damit keine sichtbaren Verletzungen oder vom Geschädigten geschilderten Beschwerden.

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2. Vor dem Hintergrund der vom Landgericht für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht die unterbliebene Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt gemäß § 340 Abs. 1, 3 i.V.m. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Werkzeug „gefährlich“ im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. nur BGH NStZ 2007, 95). Die potentielle Gefährlichkeit eines Gegenstandes im Einzelfall reicht aus, ohne dass es darauf ankommt, ob dessen Einsatz gegen den Körper des Opfers tatsächlich erhebliche Verletzungen hervorgerufen hat (BGHSt 30, 375, 377; vgl. auch Fischer StGB 56. Aufl. § 224 Rdn. 9 m.w.N.). Ob ein Schuh am Fuß des Täters in diesem Sinne als gefährliches Werkzeug anzusehen ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalles entscheiden (BGHSt 30, 375, 376; BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Werkzeug 3). Erforderlich ist dazu regelmäßig, dass es sich entweder um einen festen, schweren Schuh handelt oder dass mit einem ’normalen Straßenschuh‘ mit Wucht oder zumindest heftig dem Tatopfer in das Gesicht oder in andere besonders empfindliche Körperteile getreten wird (BGH, jew. aaO; vgl. auch BGH NStZ 1984, 328, 329; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06).

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b) Danach hat das Landgericht die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im vorliegenden Fall überspannt und zu Unrecht darauf abgestellt, dass bei dem Geschädigten keine sichtbaren Verletzungen oder von ihm geschilderte Beschwerden als Folge der Tritte des Angeklagten festgestellt werden konnten. Dass der von dem Angeklagten getragene Schuh geeignet war, bei Tritten in die Bauchgegend eines am Boden liegenden Menschen erhebliche Verletzungen hervorzurufen, steht nach den dazu getroffenen Feststellungen nicht in Frage. Ob dies ohne Rücksicht auf die Heftigkeit der damit ausgeführten Tritte schon deshalb nahe liegt, weil der Angeklagte schweres, zur Dienstausrüstung der Schutzpolizei gehörendes Schuhwerk trug, kann letztlich dahinstehen, zumal insoweit genauere Feststellungen fehlen. Die Strafkammer hat jedenfalls mehrere, nicht bloß leichte, sondern heftige Tritte in die Bauchgegend des Geschädigten als erwiesen angesehen. Schon deshalb waren diese in der konkreten Situation geeignet, bei dem erheblich alkoholisierten und damit eingeschränkt verteidigungsfähigen Zeugen, der zudem am Boden lag, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.

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Der Senat kann den Schuldspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe selbst ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten in der Anklageschrift eine gefährliche Körperverletzung im Amt zur Last gelegt hatte.

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c) Die Schuldspruchänderung lässt hier den Strafausspruch unberührt. Zwar entspricht die vom Landgericht im Fall II. 1 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von sechs Monaten lediglich dem Mindestmaß des nunmehr anzuwendenden Strafrahmens des § 224 Abs. 1 StGB. Angesichts der von der Strafkammer rechtsfehlerfrei erwogenen, gewichtigen Milderungsgründe, insbesondere der dem Tatgeschehen vorausgegangenen erheblichen Provokationen durch den Geschädigten, der vom Angeklagten infolge seiner Suspendierung vom Dienst erlittenen finanziellen Einbußen sowie der zu erwartenden disziplinarischen Maßnahmen und der seit der Tat verstrichenen Zeit von nahezu drei Jahren kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht im Fall der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt eine höhere Einzelstrafe verhängt hätte. Im Übrigen erachtet der Senat die erkannte Strafe auch unter Zugrundelegung des erhöhten Strafrahmens für tat- und schuldangemessen.

III.

16
Über die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung hat das Oberlandesgericht zu befinden.

17
Eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO besteht insoweit nur, wenn es zugleich über eine vom Beschwerdeführer eingelegte Revision zu entscheiden hat, weil nur in diesem Fall der erforderliche enge Zusammenhang zwischen beiden Rechtsmitteln besteht (Senat, Beschlüsse vom 25. November 2008 – 4 StR 414/08 und vom 21. März 2006 – 4 StR 110/05). An diesem Zusammenhang fehlt es im Fall der Nebenklägerin schon deshalb, weil diese keine Revision eingelegt hat. Entsprechendes gilt indessen, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, auch für die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Denn diese beanstandet mit der sofortigen Beschwerde die Kosten- und Auslagenentscheidung lediglich im Hinblick auf die Nebenklägerin (§ 472 Abs. 1 Satz 1 StPO), greift aber das Urteil nur hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Geschädigten K. an.