Das Landgericht Lüneburg hat die Angeklagte von dem Vorwurf freigesprochen, ihren gewalttätigen Ehemann mit mehr als 50 Messerstichen getötet zu haben, weil die Tat seiner Auffassung nach durch Notwehr gerechtfertigt war.
Nach den Feststellungen hatte das spätere Tatopfer die Angeklagte während der dreijährigen Ehe häufig unter Alkoholeinfluß schwer mißhandelt und auch ihre Tochter aus erster Ehe geschlagen und sexuell mißbraucht. Die Angeklagte hatte sich deshalb bereits zweimal von ihrem Ehemann getrennt, war aber immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Sie nahm sich eine eigene Wohnung, hielt sich tagsüber jedoch meist in der Wohnung des Angeklagten auf, obwohl dieser sein Verhalten ihr gegenüber nicht geändert hatte.
Am 17. Mai 2000 kam es während des Abendessens in der Wohnung des Ehemannes zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen diesem und seiner Stieftochter. Die Angeklagte befürchtete, daß es wieder zu Schlägen kommen werde. Da sie nicht mehr bereit war, sich von ihrem Ehemann alles gefallen zu lassen, holte sie aus der Küche ein 25 Zentimeter langes Messer und kehrte damit in das Wohnzimmer zurück. Als der Ehemann sie mit dem Messer in der Hand sah, stand er brüllend vom Sofa auf und wandte sich gegen seine Stieftochter. Um ihre Tochter zu schützen, ging die Angeklagte auf ihren Ehemann zu, der daraufhin in seiner Bewegung innehielt, einen Schritt zurückwich, strauchelte und auf das Sofa zurückfiel. Die Angeklagte befürchtete nun, daß ihr Ehemann auf sie selbst losgehen werde, und stach ihn dreimal in die linke Brustseite. Obwohl bereits tödlich verletzt, erhob sich das Tatopfer und bewegte sich erneut in Richtung der Tochter. Die Angeklagte, die ihren Ehemann nicht für ernstlich verletzt hielt, folgte ihm in den Flur der Wohnung und versetzte ihm dabei vier weitere Stiche in den Rücken. Nachdem er im Flur tot zusammengebrochen war, stach sie noch 44 mal auf ihn ein.
Nach der Tat beseitigten die Angeklagte und ihre Tochter alle Spuren und vergruben die Leiche in den folgenden Tagen im Wald. Die Tat wurde erst Anfang Januar 2001 entdeckt.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs den Freispruch aufgehoben, weil das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, daß zum Zeitpunkt der tödlichen Stiche von Seiten des Tatopfers, das auf das Sofa zurückgefallen war, objektiv ein Angriff ausging. Allein die Befürchtung der Angeklagten, ein solcher Angriff stehe unmittelbar bevor, begründet noch keine Notwehrlage.
Zudem enthält das Urteil widersprüchliche Feststellungen zum Vorstellungsbild der Angeklagten zu dem Zeitpunkt, in dem sie das Messer aus der Küche holte. Sollte sie – wofür Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung sprechen könnten – davon ausgegangen sein, daß der Anblick des Messers die Wut ihres Ehemannes steigern werde, so daß sie zum Einsatz des Messers gezwungen sein werde, hätte das Landgericht erörtern müssen, ob die Angeklagte nicht aufgrund ihrer Erfahrungen in der Vergangenheit bei Beginn der verbalen Auseinandersetzung mit ihren Kindern die Wohnung des Ehemannes hätte verlassen müssen. Zum Ausweichen wäre sie zwar nicht schon allein aufgrund ihrer Ehe mit dem Opfer gezwungen gewesen, wohl aber deshalb, weil sie sich trotz der zuvor immer wieder erlittenen Mißhandlungen sehenden Auges vorwerfbar in eine Situation begeben hatte, welche die Gefahr der Eskalation in sich barg. Die Feststellung des Urteils, die Angeklagte habe keine Möglichkeit gesehen, mit ihren Kindern unbehelligt die Wohnung zu verlassen, ist nicht mit Tatsachen belegt.
Im übrigen hat der Bundesgerichtshof auch die Beweiswürdigung des Landgerichts, insbesondere die unkritische Übernahme der Einlassung der Angeklagten, beanstandet.
Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01
Karlsruhe, den 18. April 2002
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