Nachfolgend ein Beitrag des Verfassers, veröffentlich in der Ausgabe 04/2016 in MOMENT, dem regionalen Kulturmagazin des Unstrut-Hainich-Kreises:


Nach Kolumnen über das Erben und Vererben mal etwas Griffigeres, denn mit dem Tod und dessen Folgen will man sich ja nicht wirklich dauernd beschäftigen: Heute also „Der Rausch“ oder besser das Recht darauf. Ja, ich sehe die Fragezeichen im Gesicht und hoch gezogenen Augenbrauen schon vor mir.

So blödsinnig ist der Gedanke aber gar nicht, spätestens seit dem ein Vorsitzender Richter am Landgericht in Lübeck zu Beginn der 1990er Jahre diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte. Andere Gerichte schlossen sich dem an. Alle Richter vertraten dabei die Auffassung, das Verbot von Cannabis verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil Alkohol und Nikotin nicht gleichermaßen verboten seien. Das Verbot sei auch unvereinbar mit dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Derartigen Ansätzen hat das höchste deutsche Gericht damals in der berühmt gewordenen Cannabis-Entscheidung aus dem Jahre 1994 eine Absage erteilt, dies indes mit durchaus zweifelhafter Argumentation, die das Rechtsstaatsprinzip entgegen aller zuvor gegebener Wertigkeit über alles andere erhob. Das rief natürlich massive Widerstände nicht nur in der juristischen Literatur hervor, zwei der Richter schlossen sich der Begründung der Mehrheit nicht an und gaben Minderheitsvoten ab. In der Folgezeit war dies Veranlassung, sich intensiver mit der Problematik zu befassen. Nicht die Forderung nach Legalisierung von Cannabis gehört also auf den Prüfstand, sondern umgekehrt das zeitlich-historisch sehr kurze Experiment der Kriminalisierung. Prohibition hat schon immer nur den Verbrechern genützt.

2004 scheiterte ein weiterer Versuch vor dem Bundesverfassungsgericht. Es wurde darauf abgestellt, dass neuere wissenschaftliche Erkenntnisse über Risikofaktoren und Wirkungen des Cannabiskonsums nicht als neue Tatsachen angesehen werden können. Mit Verlaub, was denn sonst? Alkohol ist in der EU die häufigste Todesursache bei Männern unter 25, ca. 7,5 Prozent aller Todesfälle lassen sich zweifelsfrei auf Alkoholkonsum zurückführen. Der Konsum von Cannabis führt unmittelbar zu Verhaltensweisen wie stundenlangem Herumhängen, albernem Lachen und Bedeutsamkeitsfantasien. Aggressivität als Folge ist hingegen unbekannt, Cannabis-Tote ebenso. Der Suchtfaktor ist nahe „Null“.

Der kluge Lübecker Richter ist übrigens heute Richter am Bundesgerichtshof und ich schließe mit einem Appell seines Kollegen, des Vorsitzenden der u.a. für Thüringen zuständigen 2. Strafkammer am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer: „Vielleicht, liebe Richter, könnte man nach 20 Jahren einmal neu darüber nachdenken, ob es nicht wenigstens ein bisschen Menschenrecht auf Rückzug und Eigenverantwortung gibt, dort, wo kein anderer geschädigt wird.