Mandanten gelangen immer mal wieder zu der Behauptung, anwaltliche Gebührenrechnungen seien Wucher. Der Verfasser hat im Rahmen seiner Tätigkeit relativ häufig mit der Überprüfung anwaltlicher Gebührenrechnungen zu tun. In zahlreichen Fällen ergeben sich keinerlei Beanstandungen, weil die Abrechnung schlichtweg nach dem zutreffend errechneten Gegenstandswert und innerhalb der vorgegebenen Rahmengebühren erfolgt ist, soweit es sich nicht ohnehin um Gebührenabrechnungen im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren handelt. Die Ausschöpfung des Gebührenrahmens selbst ist niemals Wucher im Sinne von § 291 StGB. Hier kann allenfalls zivilrechtlich im Bereich der Angemessenheit diskutiert werden. In Einzelfällen allerdings, die dann auch zu zivilrechtlichen Rückforderungsansprüchen führen und in aller Regel die Erstattung einer Strafanzeige zur Folge haben, ist tatsächlich die sog. Wuchergrenze bzw. die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten. Die Erfahrungen zeigen allerdings auch, dass in derartigen Konstellationen oft auch andere Tatbestände wie diejenigen des Betruges oder der Untreue verwirklich wurden. Die Anzahl der von Vermögensverfall bedrohten Rechtsanwälte ist größer, als gemeinhin angenommen.

Der Straftatbestand des Wuchers nach § 291 StGB ist die spiegelbildliche Vorschrift der Sittenwidrigkeit im Zivilrecht nach § 138 BGB. Die Hürden zur Annahme der Sittenwidrigkeit eines Geschäftes hat die Rechtsprechung ziemlich hoch gehängt, dementsprechend auch die Hürden bezüglich der Annahme eines Wuchergeschäftes im Sinne von § 291 StGB.

Die Rechtsprechung des BGH im Zusammenhang mit dem seit Jahren diskutierten Dogma der Überschreitung des 5-fachen Satzes der gesetzlichen Gebühren zur Annahme der Sittenwidrigkeit ist durch das Bundesverfassungsgericht längst „gekippt“. Dieses bezog sich ohnehin auf Strafverteidigerhonorare, so wie sich 98 % aller zu diesem Problemfeld ersichtlichen Rechtsprechung auf eben dieses Sachgebiet erstreckt. Ausgeblendet wird dabei stets, dass die Basisgröße / der Vergleichsmaßstab gesetzliche Verteidigerhonorare sind, die für eine Beurteilung für Zivilsachen gänzlich untauglich sind, was nachfolgende Beispiele verdeutlichen mögen:


Beispiel 1:
RA F verteidigt in einem Strafverfahren wegen Körperverletzung vor dem Amtsgericht. Es findet ein Hauptverhandlungstermin statt.
An Gebühren verdient F:
Grundgebühr Nr. 4100 VV
Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV
Terminsgebühr Nr. 4108 VV
Auslagen Nr. 7002 VV 165,00 €
140,00 €
230,00 €
20,00 €
555,00 €

Abwandlung:
F war bereits im Vorverfahren tätig und hat an einer Beschuldigtenvernehmung
bei der Staatsanwaltschaft teilgenommen:
Grundgebühr Nr. 4100 VV
Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren Nr. 4104
Terminsgebühr Nr. 4102 VV
Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV
Terminsgebühr Nr. 4108 VV
Auslagen Nr. 7002 VV 165,00 €
140,00 €
140,00 €
140,00 €
230,00 €
20,00 €
835,00 €


Bei derart niedrigen Basisgrößen gerät man zwangsläufig immer mal wieder in Multiplikatorbereiche, die auch einmal das 10- oder Mehrfache der gesetzlichen Gebühren ausmachen können. Das liegt einfach daran, dass die betriebswirtschaftliche Zugrundelegung eines angemessenen Stundensatzes gerade bei sehr zeitaufwändigen Strafverfahren den Abschluss einer höheren Gebührenvereinbarung regelrecht gebietet, ansonsten gelangt man zu völlig unangemessen niedrigen Stundensätzen. Ein weiterer Grund dafür, dass nahezu ausschließlich Strafverteidigerhonorare auf den Prüfstand der Justiz geraten, ist der Umstand, dass die Situation bei Abschluss solcher Gebührenvereinbarungen stets geprägt ist von einer psychischen Ausnahmesituation des Auftraggebers, oftmals aus seinem Familienumfeld heraus gerissen und mit großem „Tamtam“ in die Untersuchungshaft verbracht. Der Abschluss von Gebührenvereinbarungen in einer solchen emotionalen Ausnahmesituation bedarf weitreichenden Fingerspitzengefühls und ist späterhin immer wieder kritisch zu hinterfragen, dann erneut zu bestätigen oder nachzujustieren. Ansonsten ist der Auftraggeber schlichtweg schutzlos. Auch Mandanten mit strafrechtlich bedeutsamen Handlungshintergrund müssen den gleichen Schutz der Rechtsordnung genießen wie Normalbürger.

In zivilrechtlichen Angelegenheiten hingegen besteht diese Problematik ausdrücklich nicht, denn nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) richtet sich die gesetzliche Vergütung nach dem Gegenstandswert. Das RVG vermutet dabei in einer pauschalierenden Betrachtung, dass mit der Höhe des Gegenstandswertes auch der Bearbeitungsumfang steigt, wenn auch nicht linear, sondern degressiv. Allein dieser Vergleich der zivilrechtlichen Honorare und der strafrechtlichen Honorare in den Beispielsfällen zeigt mit hinreichender Deutlichkeit auf, dass man zur Beurteilung der Frage der Sittenwidrigkeit schlechterdings nicht die Rechtsprechung im Zusammenhang mit Strafverteidigerhonoraren fruchtbar machen kann und darf.

Der einzig vertretbare und nach der Überzeugung des Verfassers zutreffende Ansatz bei der Ermittlung einer Angemessenheit in diesem Sinne kann nur ein Rekurrieren auf angemessene Stundensätze sein. In Thüringen gilt ein Stundensatz in Höhe von etwa 180€ zuzüglich Umsatzsteuer (entspricht 214,20€ brutto) als am oberen Ende des Vertretbaren. Interne Umfragen im Bereich des Mühlhäuser Anwaltsvereins haben gezeigt, dass derartige Stundensätze hier am Markt nicht (durchgängig) verlangt / durchgesetzt werden (können). In anderen Regionen / Märkten, etwa in den Ballungszentren in Berlin, Frankfurt, Hamburg oder München, werden nach den Erfahrungen des Verfassers durchaus auch Stundensätze in einem Bereich zwischen 450€ und 650€ zuzüglich Mehrwertsteuer verlangt und bezahlt. Sicherlich kommt es dabei immer auch darauf an, über welche Expertise der beauftragte Rechtsanwalt verfügt. In komplizierten Nachlass- oder Unternehmensnachfolgeangelegenheiten, bei Umstrukturierungen, Mergers oder ähnlichem mehr kommt es diesbezüglich nicht einmal zu Diskussionen, denn der Mehrwert, den der Mandant dabei in der Regel erlangt, ist um ein Vielfaches höher.

Nun ist nicht jede den in dem Beispielsfall für Thüringen genannten Betrag überschreitende Gebühr sogleich sittenwidrig. Dies würde der sog. Vertragsfreiheit eklatant zuwiderlaufen. Aber die zivilrechtliche Rechtsprechung hat durchaus sog. „Wuchergrenzen“ ermittelt. Im Bereich des Mietrechtes liegen diese etwa bei 150 % der ortsüblichen Miete, in anderen Bereichen wird etwa von dem doppelten Betrag ausgegangen. Ich halte die 200%-Grenze in zivilrechtlichen Angelegenheiten für richtig. Diese ist allerdings nicht statisch anzuwenden. In Einzelfällen kann bei besonders zeitaufwändiger und/oder schwieriger Bearbeitung durchaus auch ein noch höherer Satz zur Anwendung gelangen

Bei der Überprüfung des Vorliegens einer Sittenwidrigkeit oder Wucher sind auch besondere Ausnahmesituationen wie zum Beispiel in Erbfällen zu berücksichtigen, in denen die Erben in aller Regel den Verlust eines nahen Familienangehörigen zu bewältigen haben. Die Situation ist von der psychischen Belastung durchaus vergleichbar derjenigen des in Haft einsitzenden Mandanten. Beide Gruppen bedürfen eines besonderen Schutzes der Rechtsordnung. Es ist nicht einsehbar, warum ein Mieter oder ein Grundstückskäufer, der Auftraggeber eines Maklers von der 150%- bzw. 200%-Wuchergrenze „profitieren“ sollen, der Erbe hingegen im Verhältnis zu seinem Rechtsanwalt nicht. Gerade weil der Rechtsanwalt als Ausfluss seines Berufsstandes besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen kann, sind derartige Geschäftsbeziehungen besonderen Bewertungen zu unterwerfen.

Die verwerfliche Gesinnung des Rechtsanwaltes, der die objektiven Merkmale des Tatbestandes bei Abschluss der Gebührenvereinbarung erfüllt, ergibt sich nach meiner Auffassung in Straf- und Erbsachen u.a. aus der Ausnutzung einer emotionalen Ausnahmesituation,  gepaart mit der Inanspruchnahme der besonderen Vertrauensstellung des Rechtsanwaltes.