Nachfolgend ein Beitrag vom 16.1.2019 von Wigger, jurisPR-StrafR 1/2019 Anm. 3

Leitsatz

Zur Zueignungsabsicht beim Diebstahl, wenn der Täter Pfandleergut entwendet, um es gegen Auskehrung des Pfandbetrages in das Pfandsystem zurückzugeben.

A.
Problemstellung

Die hier besprochene Entscheidung setzt sich mit der strafrechtlichen Bewertung des „Pfandflaschendiebstahls“ auseinander. Grundsätzlich ist hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse zwischen Einheits- und Individualflaschen zu unterscheiden. Für die Zueignungsabsicht entschied der 4. Strafsenat des BGH, dass es maßgeblich auf die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den entwendeten Pfandflaschen und die Folgen ihrer Rückführung in das Pfandsystem ankomme.

B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Angeklagte gelangte durch ein Loch in einem Zaun auf das Gelände eines Getränkehandels. Dort entwendete er zahlreiche, zumeist nach Abgabe durch die Verbraucher bereits zusammengepresste Plastikpfandflaschen sowie einen Kasten mit Glaspfandflaschen; der Pfandwert betrug insgesamt 325 Euro. Der Angeklagte beabsichtigte, die gepressten Plastikpfandflaschen auszubeulen und das gesamte Pfandleergut nochmals abzugeben, um dafür Pfand zu erhalten.
In Übereinstimmung mit der vorinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts bejahte der 4. Strafsenat hinsichtlich der Plastikpfandflaschen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Diebstahls gemäß § 242 StGB.
Für die Bewertung der Eigentumsverhältnisse an den Pfandflaschen komme es auf die konkrete Beschaffenheit des Pfandgutes an. Sei die Flasche mit einer besonderen, dauerhaften Kennzeichnung versehen, die sie als Eigentum eines bestimmten Herstellers/Abfüllers ausweise (sog. Individualflasche), verbleibe das Eigentum an ihr, unabhängig von einer Veräußerung des Getränks, beim Hersteller/Abfüller. Mangels zivilrechtlicher Einigung finde auch auf den nachfolgenden Handelsstufen kein Eigentumsübergang an der Individualflasche statt. Weise die Flasche hingegen keine Individualisierungsmerkmale auf und werde von unbestimmt vielen Herstellern verwendet (sog. Einheitsflasche), erstrecke sich der Eigentumsübergang nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Flasche selbst. Danach stünden die entwendeten Pfandflaschen entweder nach wie vor im Eigentum des Herstellers/Abfüllers oder – soweit es sich um Einheitsflaschen handele – im Eigentum des letzten Erwerbers und seien somit für den Angeklagten fremd.
Für die Beurteilung der Zueignungsabsicht komme entweder eine Zueignung der Sache selbst oder des in ihr verkörperten Wertes in Betracht. Im letzteren Fall werde der Sachwert dem Vermögen des Berechtigten dauerhaft entzogen und dem des Nichtberechtigten zumindest vorübergehend einverleibt. Das Pfandgeld sei kein unmittelbar im Pfandgut verkörperter Wert, weshalb eine Sachwertzueignung grundsätzlich ausscheide, wenn der Täter in der Absicht handele, das Pfandgut lediglich in das Pfandsystem und damit dem Berechtigten zurückzuführen. Eine Zueignung komme nur in Betracht, wenn der Täter die Flaschen unter Leugnung des Eigentums des wahren Eigentümers in das Pfandsystem zurückgelangen lasse und er sich dadurch wie ein Eigentümer geriere. Maßgeblich hierfür sei die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den entwendeten Pfandflaschen, nicht hingegen die tatsächliche zivilrechtliche Eigentumslage, weshalb dazu Feststellungen im Urteil zu treffen seien.
Bei der Wegnahme von Einheitsflaschen sei Zueignungsabsicht zu bejahen, wenn der Täter bei zutreffender Einschätzung der Eigentumslage in der Absicht handele, das entwendete Pfandleergut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen. Denn in diesem Fall führe der Täter sich nach außen – unter Leugnung der wahren Eigentümerstellung – wie der Berechtigte auf. Dies gelte selbst dann, wenn er das Pfandleergut dem Händler zurückgebe, dem er es zuvor entwendet habe, da er diesem seine Berechtigung vortäusche und sich wie ein Eigentümer verhalte.
Demgegenüber liege bei der Wegnahme von Individualflaschen eine Zueignungsabsicht nicht vor, wenn der die Eigentumslage richtig einschätzende Täter durch die Rückführung des Pfandleergutes in das Pfandsystem das Eigentumsrecht des Herstellers/Abfüllers anerkenne. In diesem Fall maße sich der Täter keine eigentümerähnliche Stellung an und besitze keinen Enteignungsvorsatz.
Da die zutreffende Einschätzung der Eigentumslage durch den Täter die Ausnahme darstellen dürfte und dieser im Regelfall auch bei Individualflaschen davon ausgehe, dass sie – wie die Einheitsflasche – im Eigentum des jeweiligen Erwerbers stünden, liege jedoch auch im vorliegenden Fall die erforderliche Zueignungsabsicht vor.
Da der Tatbestand des Diebstahls keine tatsächliche Zueignung, sondern lediglich die Absicht rechtswidriger Zueignung voraussetze, sei unerheblich, dass das vom Täter entwendete Pfandleergut durch die Rückgabe systembedingt wieder an den wahren Eigentümer der Individualflaschen zurückgelange.
Im Hinblick auf die der Entscheidung zugrunde liegenden Plastikpfandflaschen ließe der Gesamtzusammenhang des Urteils ausreichend erkennen, dass diese die Merkmale von Einheitsflaschen erfüllten und der Angeklagte bei deren Wegnahme nach den festgestellten Grundsätzen mit Zueignungsabsicht handelte.
Bezüglich der entwendeten Glaspfandflaschen differenziere das Landgericht jedoch nicht zwischen Einheits- und Individualflaschen. Insoweit fehlten auch Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten über die Eigentumslage im Zeitpunkt der Wegnahme. Da die Glaspfandflaschen jedoch gegenüber den zahlreichen Plastikpfandflaschen kaum ins Gewicht fielen, würde sich der Schuldumfang nur unmaßgeblich verringern.

C. Kontext der Entscheidung

Mit dem Beschluss des BGH wird die bestehende Rechtsprechung zur strafrechtlichen Bewertung des „Pfandflaschendiebstahls“ fortgeführt, indem für die Beurteilung der Zueignung zwischen Einheits- und Individualpfandflaschen unterschieden wird. Einigkeit besteht hinsichtlich der Beurteilung von Einheitsflaschen. Diese gehen in das Eigentum des Erwerbers über, sodass sich der Täter durch Wegnahme und Rückführung des Pfandgutes in das Pfandsystem wie der Eigentümer verhält und diesen aus seiner Position dauerhaft verdrängt.
Problematisch ist hingegen die Behandlung der Individualflaschen, welche im Eigentum des Herstellers/Abfüllers verbleiben. Nach der vom Reichsgericht entwickelten Vereinigungstheorie (vgl. dazu RG, Urt. v. 07.03.1927 – III 976/26 – RGSt 61, 228, 233) kann sich die Zueignungsabsicht auf die Sache selbst oder den darin verkörperten Wert beziehen. In Bezug auf die Sachwertzueignung vertritt der BGH die enge Sachwerttheorie, wonach nur der der Sache unmittelbar innewohnende Wert (lucrum ex re) und nicht der aus einem bestimmten Umgang mit der Sache entspringende wirtschaftliche Wert (lucrum ex negotio cum re) Gegenstand der Zueignung sein kann (BGH, Beschl. v. 21.01.1964 – 5 StR 514/63 – NJW 1964, 2025; Schmitz in: MünchKomm StGB, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 135 m.w.N.). Die gegenteilige Beurteilung würde den Sachwertgedanken auf den Täuschungswert ausweiten und dadurch das Eigentumsdelikt des Diebstahls mit den Bereicherungsdelikten verschwimmen lassen. Dies wird im vorliegenden Fall daran deutlich, dass die Wegnahme und Verwertung des Leerguts nicht das Eigentum des Herstellers/Abfüllers beeinträchtigen. Vielmehr kann er das Verpackungsmaterial bestimmungsgemäß erneut verwenden. Aus diesem Grund wird das, durch Rückgabe der Pfandflasche erzielbare Pfandgeld, nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht als ein der Sache unmittelbar anhaftender Funktionswert angesehen, sondern als Anreiz für den Verbraucher zur Rückgabe des Leergutes (AG Flensburg, Urt. v. 01.07.2005 – 47 Ds 107 Js 26871/04 – NStZ 2006, 101, 102; AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 17.11. 2011 – (249 Ds) 3022 PLs 13289/11; Jahn, JuS 2013, 753, 754; Hellmann, JuS 2001, 353, 355). Dies erscheint auch vor dem Hintergrund, dass das Pfandgeld hinter dem Materialwert der Pfandflaschen zurückbleibt, sachlich richtig (AG Flensburg, Urt. v. 01.07.2005 – 47 Ds 107 Js 26871/04 – NStZ 2006, 101, 102).
Unter den vorstehenden Grundsätzen kommt eine Sachwertzueignung bei Individualflaschen demnach nicht in Betracht. Folgerichtig weist der 4. Strafsenat darauf hin, dass in diesen Fällen nur eine Substanzzueignung möglich sei. Dafür müsste sich der Täter eine eigentümerähnliche Stellung an dem Leergut anmaßen. Dies kann jedoch nicht überzeugen, da der Hersteller von Individualflaschen Eigentümer bleibt und der Täter bei der Rückgabe des entwendeten Leerguts das Eigentumsrecht des Herstellers gerade nicht leugnet (ebenso Hellmann, JuS 2001, 353, 355).
In diesen Fällen kommt sodann nur noch eine Pfandkehr nach § 289 Abs. 1 Alt. 2 StGB in Betracht. Allerdings müsste dazu die Wegnahme zugunsten des Eigentümers der Sache geschehen. Zu den nach § 289 StGB geschützten Gebrauchsrechten gehört auch das des Entleihers. Teilweise wird deshalb vertreten, dass der Täter zugunsten des Eigentümers (hier dem Hersteller der Individualflasche) handele, wenn er die verliehene Sache dem Gebrauchsberechtigten wegnehme, um sie dem Eigentümer zurückzugeben (OLG Hamm, Beschl. vom 31.07.2007 – 4 Ss 208/07 – NStZ 2008, 154, 155; Hellmann, JuS 2001, 353, 355). Dies erscheint zweifelhaft, da der Täter regelmäßig sich selbst einen Vorteil (Pfandbetrag) verschaffen will und nicht im Interesse des Eigentümers handelt oder handeln will. In der Regel wird einziges Motiv des Täters sein, das Pfandgeld zu erlangen (AG Flensburg, Urt. v. 01.07.2005 – 47 Ds 107 Js 26871/04 – NStZ 2006, 101, 102; AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 17.11. 2011 – (249 Ds) 3022 PLs 13289/11; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 289 Rn. 5).
Auch ein Betrug nach § 263 StGB dürfte in der Regel ausscheiden, da in der Rückgabe des Pfandgutes keine konkludente Täuschung dahingehend gesehen werden kann, berechtigter Einlieferer zu sein. Jedenfalls mangelt es regelmäßig an einem Irrtum aufseiten der Leergutannahmestelle (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 289 Rn. 5).
Demnach wird ein gut beratener Angeklagter in Fällen der Entwendung von Individualflaschen zwecks Erlangung des Pfandgeldes unter Umständen straffrei bleiben.
Das Abstellen allein auf das Vorstellungsbild des Angeklagten für die Eigentumsverhältnisse beim Diebstahl, wird dabei zu Beweisschwierigkeiten und wohl eher zu einem Freispruch als einer Verurteilung führen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die sachlich richtige Entscheidung zeigt auf, dass das geltende Eigentums- und Vermögensstrafrecht je nach Einlassung des Täters zu unterschiedlichen Ergebnissen für die jeweilige Art der Pfandflasche kommt. Denn in einem Beutel mit Pfandflaschen können je nach Vorstellungsbild des Täters einige Gegenstand der Zueignung sein, andere hingegen nicht. Auch wenn die zutreffende Einschätzung der Eigentumslage durch den Täter die Ausnahme darstellen wird, dürfte in der Praxis damit zu rechnen sein, dass sich der Angeklagte dahingehend einlässt, dass er durchweg vom Eigentum des Flaschenherstellers ausgegangen sei. Somit dürfte die Feststellung einer Zueignungsabsicht in derartigen Fällen entgegen der Auffassung des 4. Strafsenats nicht den Regelfall darstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 591/17 – NJW 2018, 3598 m. Anm. Hoven).

Zueignungsabsicht bei der Entwendung von Pfandleergut
Andrea KahleRechtsanwältin
Zueignungsabsicht bei der Entwendung von Pfandleergut
Danuta EisenhardtRechtsanwältin
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