Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. In losen Abständen veröffentlichen wir hier einige seiner informativen und gleichermaßen humorvollen Beiträge und Kolumnen. Viele zeichnen sich durch Erinnerungen an (nicht nur) seine Kindheit oder aktuellen Beispielen aus Politik und Zeitgeschehen aus und lassen die in diesem Zusammenhang „gezeichneten“ Bilder klar vor Augen erscheinen – mit einem Wort: lesenswert!
Steuersünder sind oft Leistungsträger. Ihre Ausreden glaubt niemand. Sie schaden sich damit vor allem selbst.
Ein Gastbeitrag von Thomas Fischer
6. Februar 2014, 7:00 Uhr / Editiert am 8. Februar 2014, 9:02 Uhr DIE ZEIT Nr. 7/2014
Haben die Feministin Alice Schwarzer und der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, deren Geschichten uns derzeit die Langeweile bis zur großen Hoeneß-Show vertreiben, noch etwas gemeinsam außer dem durch nichts zu erschütternden Glauben an die eigene Botschaft? Inzwischen weiß es jeder: Beide sind Sünder. In Tebartz-van Elsts Job ist das Geschäftsgrundlage, auch wenn er sich dem Vernehmen nach mit diesem Teil der Aufgabe noch schwertut. Für Schwarzer hingegen ist es eine Anforderung, die sie bislang ersichtlich noch nicht in Erwägung gezogen hatte. Das rächt sich nun, denn niemand hat zuletzt die Demontage dieser Kämpferin gegen den Verlust von Steuermilliarden durch Ehegattensplitting so zielsicher vorangetrieben wie sie selbst. Wo Moralansprüche und Sendungsbewusstsein am höchsten, sind Abstürze am schmerzlichsten.
Die Geschichte, mit der Schwarzer sich, sorgfältig tendenziös formulierend, ihren Feinden entgegenwirft, ist atemberaubend: In den achtziger Jahren – das war, als in Hessen die erste rot-grüne Koalition regierte – sah sie sich gezwungen, in der Schweiz, also dem Land der Freiheit, der Moral und der höchsten Bordelldichte Europas, ein Sümmchen auf ein Konto „einzuzahlen“, weil sie erwartete, demnächst vor einer „Hatz“ gegen sie „ins Ausland“ fliehen zu müssen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist dies eine zynische Instrumentalisierung des Schicksals und der Angst echter politischer Flüchtlinge. Oder es ist eine lächerliche Lüge. Selbst wenn Schwarzer vor dreißig Jahren Verfolgungsideen dieser Art gehabt hätte: Die Straftaten, deretwegen sie sich jetzt angezeigt hat, beging sie in den vergangenen zehn Jahren. In dieser Zeit saß sie in Spielshows herum, äußerte ihre Meinung über andere in Bild und in Talkshows. Sie war nicht Verfolgte, sondern Verfolgerin.
Uli Hoeneß, der sich an jedes Tor erinnert, hatte ein Sümmchen vergessen
Nun, nachdem sich durch ausgiebiges Betrachten der Fälle Klaus Zumwinkel und Uli Hoeneß ihr Unrechtsbewusstsein immer weiter geschärft hat, hat sie ein Drittel der hinterzogenen Steuern nachgezahlt und „das Konto aufgelöst“. Wo sie das Kapital und die Zinsen aus den verjährten Taten nun „eingezahlt“ hat, verschweigt sie bescheiden. Bei konservativer Zinsschätzung darf man das schweizerische Sparstrümpfchen auf eine Million veranschlagen. Als Alice Schwarzer dieses Fluchtkapital im Handtäschchen nach Zürich trug und „einzahlte“, verdiente die deutsche Putzfrau 40 Mark am Tag und die Redaktionssekretärin 60. Nun kniet die Verfolgte auf den Stufen des Finanzamts und ringt die Hände: „Von ganzem Herzen“ bedauert sie ihren Fehler. Zum Dank für ihr geschärftes Rechtsgefühl muss sie eine „Kampagne“ von Menschen ertragen, die um einer Schlagzeile willen „auf Recht und Gesetz pfeifen“. Sie beging 30 Jahre lang Straftaten, weil sie ein Opfer war. Nun, da dies offenbar wird, ist sie es schon wieder. Wunderbar!
In Deutschland gibt es Gerechte, Verbrecher und Sünder, Letztere in den Formen des Verkehrssünders und des Steuersünders. Was dem Verkehrssünder der Raser, ist dem Steuersünder der skrupellose Finanzhai: Gesindel. Dagegen sind Sünder wir alle. Wer wollte behaupten, er sei nie im Leben bei Rot über die Ampel gefahren oder habe nie einen Roman als „Fachbuch“ abgesetzt?
In jeder Sünde liegt die Gewissheit der Vergebung, wo echte Reue waltet. Deshalb hält der intelligente Sünder eine Zeit lang den Mund, gibt den Führerschein ab und macht sich klein (Bischöfin Margot Käßmann). Er legt den Titel Editor-at-Large ab (Theo Sommer), er tritt zurück (Staatssekretär André Schmitz); er gibt sein Großes Bundesverdienstkreuz zurück (Klaus Zumwinkel); er wohnt im Kloster, fährt aber in der Dunkelheit zum Baden in seinen Amtspalast (Tebartz-van Elst); er reibt sich mit den Fäustchen die Tränen der Verzweiflung aus den Augen und kann doch nichts dafür, dass alle ihn lieben und immer eine Kamera läuft (Uli Hoeneß).
Natürlich gibt es auch Unverbesserliche. Zum Beispiel dieser Ribéry! Ein ganz unverschämter Sünder: Kaum wird er rechtskräftig vom Vorwurf des Kontakts zu einer minderjährigen Prostituierten freigesprochen, da wagt er es, „am nächsten Wochenende auf dem Platz zu stehen, als sei nichts gewesen“! Emma, Zentralorgan für Gerechtigkeit, kann es nicht fassen. Oder dieser Kachelmann! Wird rechtskräftig freigesprochen und behauptet trotzdem frech, er habe nichts verbrochen! Damit solche Leute keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen, gibt es die Gerechten. Sie schreiben Kolumnen und speisen mit den Großen der Welt.
Schwarzer hat, wie sie uns mitteilt, „nie einen Cent abgehoben“. Was möchte sie uns damit sagen? Dass sie sparsam ist oder dass sie ihr Konto jedes Jahr aufs Neue vergessen hat? Überhaupt, das Gedächtnis! Diese Schusseligkeit gerade bei Menschen, die uns stets durch ihre geistige Perfektion und unermessliche Leistungsgrenzen beeindruckt haben!
Wie konnte Uli Hoeneß, der alles weiß und jedes Tor aus 50 Jahren Bundesliga nacherzählen kann, vergessen, dass es da noch ein Sümmchen an Spielgeld gab? Wie kommt es, dass Theo Sommer, der Chefredakteur und Herausgeber der ZEIT war, Jahr für Jahr vergessen konnte, die paar kleineren Nebeneinkünfte in Höhe von insgesamt über einer Million Euro zu versteuern? Wie verdrängt ein Staatssekretär, dass er eine Erbschaft gemacht hat, die sich wundersam in „eine Lebensversicherung“ verwandelte und in der Schweiz „eingezahlt“ wurde?
Die Erklärungsversuche sind immer gleich albern. Sie werden nicht geglaubt und ruinieren das Bild derjenigen, die sie für sich entwerfen, oft mehr als die Sache selbst. Denn sie sagen in der Regel nichts über die Wahrheit, aber viel über die Personen, die sie sich ausdenken. Woher sie kommen, ist schwer zu sagen. Es handelt sich nicht um Panik-Reflexe: Die Stellungnahme von Schwarzer etwa ist professionell, im suggestiv verdrehten Bild-Jargon verfasst. Am ehesten ist es wohl der Versuch, der Scham und der öffentlichen Häme zu entrinnen durch infantile Betroffenheits- und Unterwerfungsgesten. Bei manchen funktioniert selbst das nicht. Sie inszenieren das eigene Unrecht als Opfergang.
Gern klagen die, die es angeht, über die Verletzung des Steuergeheimnisses
Steuerhinterziehung ist der einzige Straftatbestand im deutschen Recht, bei dem die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige besteht. Die Anforderungen an eine solche Selbstanzeige sind nicht ganz einfach zu erfüllen; im Fall Schwarzer hat es, anders als im Fall Hoeneß, offenbar geklappt. Man kann daran zweifeln, dass eine Regel, wonach ein Straftäter nachträglich die Strafbarkeit seiner Tat beseitigen kann, mit unserem Strafrechtssystem wirklich zu vereinbaren ist. Der Gerechtigkeitsgehalt einer solchen Regel ist jedenfalls denkbar klein.
Ihr rechtspolitischer Grund ist von derselben zweifelhaften Art wie die Kapitalertragsteuer, soweit sie als sogenannte Abgeltungsteuer ausgestaltet ist: Der Staat besteuert private Kapitaleinkünfte mit nur 25 Prozent, selbst wenn der individuelle Steuersatz des Steuerpflichtigen viel höher liegt. Der Grund ist, wie wir wissen, die große Empfindsamkeit und stets fluchtbereite Gespanntheit des Geldes: Es fliegt in die weite Welt, kaum dass das Wort „Steuer“ ausgesprochen wurde; anders als die schwerblütige, an Büro, Betrieb und Menschenleiber gebundene Arbeit. Daher gilt: lieber wenig Steuern einnehmen als gar keine; lieber frohe Depot-Inhaber in Deutschland als im Ausland.
Natürlich ist dies ein erbärmliches Argument, das durch den Hinweis auf die praktischen Schwierigkeiten, den Strom des Geldes zu verfolgen, nicht viel besser wird. Steuer-CDs, Sanktionen gegen Steueroasen und Erhöhung des Verfolgungsdrucks zeigen: Man muss nur wollen. Steuerehrlichkeit wird nicht durch das Angebot von Geschenken erreicht für ein Verhalten, das von der Mehrheit der Bürger als selbstverständlich erwartet wird. Die einzig erfolgreiche Methode ist eine massive Erhöhung des Risikos. Nicht Nachsinnen über das Unrecht treibt die Menschen an, ihre geheimen Konten von ganzem Herzen zu bedauern, sondern die pure Furcht vor dem Erwischtwerden. So funktioniert Strafrecht.
Es ist kein Menschenrecht, dass Steuerstraftaten geheim bleiben
Tatsache ist bislang: Wer in Deutschland von unselbstständigem Arbeitseinkommen lebt, führt seine Einkommensteuer als Lohnsteuer beim Arbeitgeber ab, ohne Geheimnis, ohne Beschränkung und ohne Sonderbonus für Gesetzestreue. Wer von Zinseinkünften lebt, dem wird fast die Hälfte der darauf entfallenden Einkommensteuer einfach geschenkt, wenn er so großherzig ist, überhaupt Steuern zu zahlen. Die Kavallerie, mit der im Fernsehen gedroht wird, galoppiert seit fünfzig Jahren auf weiträumiger Suche in der Wüste umher, kann dort aber leider nur sehr selten etwas finden. Derweil wird zu Hause gegen den Sozialbetrug gekämpft: Wenn 10.000 Hartz-IV-Bezieher monatlich 500 Euro zu Unrecht erlangen, sind das im Jahr 60 Millionen Euro. Wenn 100 Kapitalanleger in demselben Jahr je 20.000 Euro Kapitalertragsteuer hinterziehen, haben sie 80 Millionen Euro Zinsen verdient. Weil das jeder weiß, der davon profitiert, und es bloß diejenigen nicht wissen, die 80 Prozent der Last tragen, funktioniert das System. Man könnte es anders machen, tut das aber nicht. Das ist eine Entscheidung des Gesetzgebers und seiner Wähler, die schwer zu verstehen ist. Man könnte sie jederzeit ändern. Dann würde das schöne Motto „Wer betrügt, fliegt“ plötzlich eine ganz andere Dimension bekommen.
Gern klagen die, die es angeht, über die Verletzung des Steuergeheimnisses – als sei es ein Menschenrecht, dass Straftaten geheim bleiben. Als werde von den geifernden Medien das Innerste unschuldiger Kleinsparer nach außen gekehrt, die doch nichts getan haben, außer einen „Fehler“ zu machen, einen Staatskonzern zu leiten, einen Sportverein, eine Wochen- oder eine Frauenzeitung.
Man sollte das etwas differenziert sehen: Es gibt das Steuergeheimnis, und das wird immer wieder einmal gebrochen, gelegentlich auch in der Finanzverwaltung, am ehesten bei sogenannten Prominenten aller Kategorien. Das ist bedauerlich und sollte nach Kräften unterbunden werden. Gleichwohl sollte man den Skandal dort lassen, wo er ist: bei den Straftaten der Hinterzieher. Das Steuergeheimnis schützt – vielleicht – auch den schuldigen Hinterzieher. Es ist aber nicht um seinetwillen und nicht zur Verschleierung seiner Taten da. Es schützt alle Steuerpflichtigen davor, dass auf dem Umweg über ihre finanziellen Verhältnisse alle Einzelheiten ihres Lebens oder ihrer geschäftlichen Betätigung offenbar und zugänglich werden. Bei jedem Arbeitnehmer, der seinem Arbeitgeber Lohnsteuer-Freibeträge angibt, ist die Gefahr, dass dieses Geheimnis substanziell verletzt wird, größer als bei einem Steuerhinterzieher, dessen Schwarzgeldkonto auf einem Datenträger auftaucht.
Selbst wenn man die Versuche, vom eigenen Skandal abzulenken, auf ihr wahres Maß reduziert, bleibt für die Betroffenen ein harter Brocken: eine gnadenlose öffentliche Gerichtsbarkeit durch Medien und Internet. Die ist gelegentlich auch ungerecht.
„Rufmord“, wie Schwarzer schreibt, begeht sie nicht. Rufmord ist es, einen rechtskräftig Freigesprochenen weiter als Täter darzustellen; nicht aber, einen Schuldigen als das zu bezeichnen, was er ist. Steuerhinterziehung ist keine kleine „Sünde“. Aber sie ist auch keine Tat, die den Kern einer Persönlichkeit entblößt und infrage stellt. Deshalb eignen sich Enthüllungen über Steuerhinterziehungen maximal zu ein bisschen verdienter Schadenfreude und Empörung über „die da oben“, die ihren erhobenen Zeigefinger als Richtungsweiser ausgaben und dabei verschwiegen, dass er zuvor an unangenehm riechenden Stellen steckte.
Weniger geeignet sind sie als Vorlage für Pharisäer jeder Art. Steuerhinterziehung ist, wie Schwarzer zutreffend schreibt, nicht unverzeihlich; nur hat über Zeit, Ort und Maß des Verzeihens nicht der Täter selbst zu entscheiden. Schwarzer kann sich trösten: Das wird wieder. Nur wenn Rufmord auf immerdar unverzeihlich wäre, hätte sie ein dauerhaftes Problem.