Nachfolgend ein Beitrag vom 14.11.2018 von (Kohte/Faber, jurisPR-ArbR 46/2018 Anm. 2)

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Eine Kündigung wegen Krankheit ist sozial nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung trotzdem störungsfrei erbringt. Kündigungsvoraussetzung ist vielmehr, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Sucht nicht in der Lage ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
2. Wenn in einer Betriebsvereinbarung Sucht Obliegenheiten – und keine Rechtspflichten – begründet werden, kann eine Verletzung der Obliegenheiten keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen.

A. Problemstellung

In den letzten Jahren hat sich als eine neue Form der Suchtabhängigkeit der Gebrauch von Methamphetamin – vor allem bekannt unter Crystal Meth – etabliert. Die Droge wirkt auch als schnell wirkungsvolles Aufputschmittel und verbreitet kurzfristig „gute Stimmung“. In den letzten Jahren war der „deutsche Markt“ vor allem durch relativ preisgünstige Ware aus Tschechien geprägt, mit der Folge, dass diese Droge häufig von jüngeren Personen mit geringem Einkommen, zum Beispiel Arbeitslosen und Auszubildenden, konsumiert wurde. Der Epidemiologische Suchtsurvey 2015 hat die bisherigen Wahrnehmungen bestätigt, dass vor allem in den Bundesländern, die in der Nähe zu Tschechien gelegen sind, wie Bayern, Sachsen und Thüringen der Gebrauch massiv gestiegen ist (Gomes de Matos, Dt. Ärzteblatt 4/2018, S. 49 ff, sowie Thüringer Allgemeine, 11.10.2018, S. 1). Der vorliegende Fall aus Südthüringen erweist sich somit als ein typischer Sachverhalt, der für Personalleitungen, Betriebsräte und Arbeitsgerichte wichtige Informationen vermittelt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte betreibt einen Metallbetrieb mit circa 1.750 Arbeitnehmern, in dem ein Betriebsrat gewählt ist. In dem Betrieb besteht ein absolutes Alkohol- und Drogenverbot. Suchtgefährdete oder suchtabhängige Mitarbeiter können sich in die Betriebsvereinbarung Sucht (BV-Sucht) aufnehmen lassen und werden dann von einem Suchtteam begleitet, das geeignete Hilfsmaßnahmen festlegt.
Der 1986 geborene Kläger absolvierte bei der Beklagten ab 2004 seine Berufsausbildung und wurde 2008 als Maschinenbediener übernommen. 2011/2012 kam es wegen Unpünktlichkeit zu Abmahnungen; die Beklagte vermutete Drogenprobleme. In einem Personalgespräch am 11.07.2012 erklärte der Kläger von der Droge Crystal Meth abhängig zu sein. Er war mit der Aufnahme in die BV-Sucht einverstanden. Der Kläger nahm darauf an einem klinischen Drogenentzug mit anschließender stationärer Langzeittherapie teil. Im Mai 2013 begann die betriebliche Wiedereingliederung. Das Suchtteam legte mit dem Kläger als weitere Maßnahmen die wöchentliche Durchführung eines Urintests zur Abstinenzkontrolle, die Teilnahme an einer ambulanten fortlaufenden Suchtberatung und eine monatliche Rücksprache bei der Betriebsärztin fest.
Die Wiedereingliederung war zunächst erfolgreich. Das Arbeitsverhältnis verlief unauffällig; die wöchentlichen Urintests waren negativ. Sie wurden dann abgelöst durch einen Haaranalysetest, der mindestens einmal im Quartal durchgeführt werden sollte. Auch die Haaranalyse war zunächst negativ. Im Juli 2014 war eine Haaranalyse positiv; der Kläger schloss einen Rückfall aus und konnte am Arbeitsplatz verbleiben. Ihm wurde eine Abmahnung erteilt. Eine weitere Haaranalyse im Dezember 2014 war ebenfalls positiv. Darauf kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Kündigung zum 30.06.2015. Der Kläger erhob Klage und erklärte, er sei nicht rückfällig geworden und habe seine Arbeitspflicht seit 2013 ordnungsgemäß erfüllt. Die Beklagte behauptete dagegen, dass der Kläger rückfällig geworden sei. Der Rückfall indiziere eine künftige Suchterkrankung. Der Betriebsablauf sei gestört, weil jederzeit mit der Beeinträchtigung der Arbeitssicherheit gerechnet werden müsse.
Arbeitsgericht und LArbG Erfurt haben der Klage stattgegeben.
Das Landesarbeitsgericht unterstellte, dass der Kläger rückfällig geworden sei. Eine Kündigung wegen Krankheit sei jedoch nicht sozial gerechtfertigt, wenn die geschuldete Leistung störungsfrei erbracht wurde. Erforderlich seien konkrete Betriebsablaufstörungen. Der positive Haartest – seine Richtigkeit unterstellt – lasse keinen Schluss darauf zu, dass der Kläger unter Drogen gearbeitet habe. Die Kündigung sei auch nicht aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, denn es fehle schon an der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Erforderlich wäre dafür ein Arbeiten unter Drogen im Betrieb; dem Konsum von Drogen in der Freizeit fehle der Bezug zum Arbeitsverhältnis. In der BV-Sucht seien Obliegenheiten begründet, jedoch keine Rechtspflichten.

C. Kontext der Entscheidung

Zutreffend hat das LArbG Erfurt den Anwendungsbereich einer verhaltensbedingten Kündigung bei diesem Sachverhalt von vornherein nicht für gegeben angesehen. Bei Suchtabhängigkeit fehlt in aller Regel das erforderliche Verschulden, so dass bei Suchtabhängigkeit typischerweise die Regeln der personenbedingten Kündigung maßgeblich sind (ständige Rechtsprechung seit BAG, Urt. v. 09.04.1987 – 2 AZR 210/86 – NZA 1987, 811). Folgerichtig bewertet das Landesarbeitsgericht auch die Absprachen, die nach der BV-Sucht getroffen worden sind, nicht als schuldvertragliche Rechtpflichten, sondern als Obliegenheiten. Dies ist zutreffend; es handelt sich um therapeutische Hilfsangebote (dazu ausführlich Wienemann/Schumann, Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, 2. Aufl. 2011, S. 34; www.dhs.de sowie Graefe, BB 2001, 1251 und Kohte, jurisPR-ArbR 14/2009 Anm. 6).
Für die personenbedingte Kündigung ist zunächst von dem wiederum seit 30 Jahren anerkannten Grundsatz auszugehen, dass eine negative Zukunftsprognose regelmäßig zu verneinen ist, solange noch die erste Entziehungsbehandlung nicht endgültig abgeschlossen ist. Inzwischen hat sich jedoch in der Rechtsprechung zutreffend die Erkenntnis durchgesetzt, dass bei einem Rückfall nicht automatisch auf eine negative Zukunftsprognose geschlossen werden kann, so dass auch bei einem Rückfall weiter eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Bei Suchterkrankungen ist auch bei Therapiebereitschaft ein automatischer Erfolg von Entziehungsmaßnahmen nicht gesichert. Mit Problemen muss gerechnet werden. Enttäuschung ist in einem solchen Fall kein geeigneter Ratgeber. Die DHS-Standards vermeiden daher den missverständlichen Begriff des Rückfalls und ersetzen ihn durch die „erneute Auffälligkeit“, die den Weg zur jeweiligen Einzelfallprüfung öffnet (dazu auch Kohte/Faber, jurisPR-ArbR 15/2011 Anm. 6; LArbG Berlin- Brandenburg, Urt. v. 17.08.2009 – 10 Sa 506/09; Oetker in: ErfKomm, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG Rn. 153).
Zutreffend hat sich das Landesarbeitsgericht weiter auch an das Urteil des LArbG Berlin-Brandenburg vom 05.09.2012 (15 Sa 911/12) angelehnt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen nicht festgestellt werden könne, wenn die Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbracht worden ist. Folgerichtig hat das Landesarbeitsgericht weiter in dieser Konstellation eine Vermutung abgelehnt, dass ein solcher Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Eigen- und Fremdgefährdung ungeeignet sei. Insoweit gibt es auch in dem emotional schwierigen Feld der Suchterkrankungen keine „Verdachtskündigung“ wegen möglicher Probleme im Bereich der Arbeitssicherheit, für die konkrete Anhaltspunkte fehlen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Sachverhalt zeigt anschaulich, dass die beachtliche Zunahme der Nutzung von Crystal Meth eine geeignete betriebliche Reaktion und sachgerechte betriebliche Regelungen verlangt. Hier hatten die Betriebsparteien eine wichtige Voraussetzung mit der BV-Sucht geschaffen, so dass zunächst Entzug und stationäre Rehabilitation eingreifen und eine betriebliche Wiedereingliederung ermöglichen konnten. Das ist für Betriebe mit einem funktionsfähigen Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) inzwischen ein anerkannter Standard (Wienemann in: Faller, Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, 3. Aufl. 2017, S. 345 ff.). Dabei kann man sich orientieren an den Qualitätsstandards für die betriebliche Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (www.dhs.de). Danach bestehen allerdings Bedenken, wenn so sensible Untersuchungen wie Urintests und Haaranalysen innerbetrieblich realisiert werden. Solche Untersuchungen sind in geeigneten außerbetrieblichen Einrichtungen durchzuführen, so dass die Werte nur Personen übermittelt werden, die unter beruflicher Schweigepflicht stehen. Nur dies entspricht auch den heutigen Anforderungen des Datenschutzrechts.
Die Stärke der betrieblichen Suchtprävention besteht gerade in den Möglichkeiten einer Beratung und Begleitung in der sensiblen Zeit nach einer stationären Rehabilitation. Gleichwohl dürfen die betrieblichen Akteure hier nicht allein gelassen werden. Zunächst sind die Plätze für stationäre Suchtrehabilitation auszubauen, denn gerade hier sind längere Wartezeiten besonders kontraproduktiv (dazu www.tls-suchthilfe.de). Nach § 17 SGB VI ist inzwischen die Rentenversicherung auch zu geeigneten Maßnahmen der Nachsorge verpflichtet. Dies ist gerade für solche Konstellationen, wie sie hier zu entscheiden waren, ein wichtiger Faktor, so dass die sozialrechtliche Nachsorge gegenüber einer Kündigung in der Regel vorrangig sein dürfte.

Kündigung nach Rückfall bei Suchterkrankung (Crystal Meth)
Danuta EisenhardtRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Arbeitsrecht
  • Fachanwältin für Verkehrsrecht
Kündigung nach Rückfall bei Suchterkrankung (Crystal Meth)
Andrea KahleRechtsanwältin

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