Nachfolgend ein Beitrag vom 19.1.2018 von Braun, jurisPR-ITR 1/2018 Anm. 3

Leitsatz

Nach dem Informationsfreiheitsgesetz Berlin besteht wegen § 9 Abs. 1 Satz 1 2. Fall IFG Berlin kein Anspruch auf Zugang zu Informationen über die genaue räumlichen Ausdehnung eines von der Polizei Berlin festgelegten „kriminalitätsbelasteten Ortes“.

A. Problemstellung

Wie alle Polizeigesetze der Länder enthält auch das ASOG Berlin eine Ermächtigung zur Personenfeststellung an sog. „kriminalitätsbelasteten“ bzw. „gefährlichen“ Orten (§ 21 Abs. 1 Nr. 1a ASOG Bln). Diese Form der Personenkontrolle setzt im Gefahrenvorfeld an: Es bedarf weder einer konkreten Gefahr noch muss ein konkreter Verdacht gegen die betreffende Person vorliegen (VGH München, Beschl. v. 08.03.2012 – 10 C 12.141). Hat die Polizei aufgrund konkreter Tatsachen (Analysedaten, Aufklärungsergebnisse usw.) im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative ermessensfehlerfrei den betreffenden Ort als im Sinne der Norm „gefährlich“ eingestuft, können von jeder Person, die sich dort aufhält, unabhängig von ihrem Verhalten deren Personalien festgestellt werden und die Person und von ihr mitgeführte Sachen durchsucht werden (sog. Ortshaftung). Die damit verbundenen Grundrechtseingriffe finden ihre Rechtfertigung allein in dem Aufenthalt an einem kriminalitätsbelasteten Ort (früher: „verrufener“ Ort). Dies ist bei sorgfältiger polizeilicher Prognose verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 04.03.2010 – 11 PA 191/09). Dabei muss die besondere örtliche Gefährdungssituation durch gerichtlich voll überprüfbare tatsächliche Anhaltspunkte („konkrete Lageerkenntnisse“, vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 13.05.2015 – 4 Bf 226/12) belegt sein; bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.03.2012 – 10 C 12.141). Auch die Kontrolle „offensichtlich unbeteiligter Personen“ soll aus Verhältnismäßigkeitsgründen ausscheiden (Senftl in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK-Polizei- und Sicherheitsrecht, Art. 13 PAG Rn. 10). Zudem muss die Örtlichkeit fassbar begrenzt sein; die Qualifikation eines gesamten Stadtviertels als kriminalitätsbelasteter Ort wäre unverhältnismäßig (vgl. Keller in: Schütte/Braun/Keller, PolG NRW, 2012, § 12 Rn. 12 m.w.N.).
Besondere gesetzliche Publizitätspflichten bestehen nicht. Die als gefährliche Orte bestimmten Gebiete müssen der Bevölkerung nicht explizit mitgeteilt werden, wenn auch häufig allgemeine Informationen darüber erfolgen (vgl. etwa https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/fakten-hintergruende/artikel.597950.php, zuletzt abgerufen am 17.01.2018). Ein Anspruch auf Mitteilung der Informationen über die genaue räumliche Ausdehnung eines von der Polizei festgelegten „kriminalitätsbelasteten Ortes“ besteht auch nicht nach den Informationsfreiheitsgesetzen, wie das VG Berlin nun feststellte.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger begehrte vom Polizeipräsidenten in Berlin Auskunft zur „Einsatzkonzeption der Polizeidirektion 5 zur Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität – links im Bereich Rigaer Straße“, insbesondere zu den räumlichen Grenzen des sog. „kriminalitätsbelasteten Ortes“.
Das VG Berlin hat die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen zwar die Voraussetzungen für den Informationsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 IFG Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz) vor. Allerdings stehe dem Informationsbegehren der Ausschlussgrund des § 9 Abs. 1 Satz 1 IFG Berlin entgegen. Danach bestehe das Recht auf Akteneinsicht oder Aktenauskunft nicht, soweit und solange ein vorzeitiges Bekanntwerden des Akteninhalts nach der besonderen Art der Verwaltungstätigkeit mit einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung unvereinbar sei.
Hier läge eine „besondere Art der Verwaltungstätigkeit“ vor, also eine Tätigkeit, „die sich von der Masse der gewöhnlichen Verwaltungstätigkeiten abhebt“ und „bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geheim gehalten werden muss, weil anderenfalls der Erfolg bevorstehender behördlicher Maßnahmen in Frage gestellt würde“ (VG Berlin, Urt. v. 07.10.2010 – 2 K 71.10 Rn. 19). Insbesondere seien „sensible verwaltungsinterne Abläufe und Strukturen (z.B. Anzahl, Art und Einsatz von Führungs- und Einsatzmitteln, Ausstattungs- und Einsatzkonzepte der Polizeien, Vorbereitung von Planungsentscheidungen für Alarmierungsfälle, Geisellagen und Fahndungslagen) vor Bekanntwerden zu schützen“ (BT-Drs. 15/4493, S. 10 zu § 3 Nr. 2 IFG Bund). Solche sensiblen verwaltungsinternen Abläufe und Strukturen stellten auch die hier begehrten Ausführungen zu den exakten geographischen Grenzen in der Einsatzkonzeption zum kriminalitätsbelasteten Ort „Rigaer Straße“ dar. Denn die Einsatzkonzeption lege zusammen mit den taktischen Zielen die möglichen gefahrenabwehrenden Maßnahmen in einem klar definierten räumlichen Bereich dar.
Das (vorzeitige) Bekanntwerden des Akteninhalts sei ferner mit einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung durch die Polizei unvereinbar. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass die Polizei die ihr zur Verfügung stehenden besonderen Maßnahmen an kriminalitätsbelasteten Orten – verdachtsunabhängige Identitätsfeststellung sowie verdachtsunabhängige Durchsuchung von Personen und Sachen – nicht mehr effektiv einsetzen könnte und diese ihr zur Verfügung stehende Möglichkeit der effektiven Gefahrenabwehr entwertet würde (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 157). Bei Bekanntwerden der genauen Grenzen des kriminalitätsbelasteten Ortes könnten sich potentielle Straftäter schon durch geringfügiges, gezieltes räumliches Ausweichen polizeilichen Maßnahmen entziehen und unter Inkaufnahme eines geringeren Risikos von anderer, nicht weit entfernter, aber knapp außerhalb der räumlichen Grenzen des kriminalitätsbelasteten Ortes liegender Stelle Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen. Durch ein derartiges ausweichendes Verhalten potentieller Straftäter entfiele die Möglichkeit von verdachtsunabhängigen Kontrollen; damit würde ein zentraler Bestandteil des Maßnahmenkatalogs der Einsatzkonzeption „Rigaer Straße“ entwertet. Konsequenz des begehrten Informationszugangs wäre also, dass die ordnungsgemäße besondere Verwaltungstätigkeit – die effektive Gefahrenbekämpfung durch die Polizei im Bereich Rigaer Straße – beeinträchtigt und damit zugleich konkret gefährdet würde.

C. Kontext der Entscheidung

Die wohlbegründete Entscheidung nimmt nachvollziehbar und unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und Literatur anerkannten besonderen Aufgaben der Polizei (dazu Scherzberg/Solka in: Fluck/Fischer/Martini, Informationsfreiheitsrecht, Stand 2017, § 3 IFG Rn. 117 ff.) einen Informationsausschluss nach § 9 Abs. 1 IFG Berlin an. Aufgrund des in allen Informationsfreiheitsgesetzen der Länder vergleichbaren Wortlautes hat die Entscheidung bundesweite Bedeutung.
Im Übrigen sei auf eine bemerkenswerte Ausweitung der polizeilichen Befugnis zur Personenfeststellung an kriminalitätsbelasteten Orten im Freistaat Bayern hingewiesen. Dort hat der Gesetzgeber den Bereich der „gefährlichen Orte“ in Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 PAG (Polizeiaufgabengesetz Bayern) erweitert. Es steht der bayerischen Landespolizei seit nunmehr knapp einem Jahr offen, verdachtsunabhängige Personenkontrollen an Orten durchzuführen, „die als Unterkunft oder dem sonstigen, auch vorübergehenden Aufenthalt von Asylbewerbern und unerlaubt Aufhältigen dienen“. Anlass für die Gesetzesänderung gaben erheblich gestiegene polizeiliche Einsätze aufgrund von Straftaten an diesen Orten und das Bedürfnis an präventiv-polizeilichen Identitätskontrollen bei Asylbewerbern und unerlaubt Eingereisten (LT-Drs. 17/11362, S. 24; vgl. auch Senftl in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK-Polizei- und Sicherheitsrecht, Art. 13 PAG Rn. 10).

D. Auswirkungen für die Praxis

Ein Anspruch auf Auskunft über die genaue räumliche Ausdehnung eines von der Polizei festgelegten „kriminalitätsbelasteten Ortes“ besteht nicht. Im Übrigen ist Rechtsschutz an solchen Orten wohnhafter oder sich regelmäßig aufhaltender Personen grundsätzlich erst nachträglich möglich, also wenn sich eine Kontrollsituation tatsächlich realisiert hat.

Kein Informationsanspruch über die exakte räumliche Ausdehnung polizeilich überwachter kriminalitätsbelasteter Orte
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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