Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. In losen Abständen veröffentlichen wir hier einige seiner informativen und gleichermaßen humorvollen Beiträge und Kolumnen. Viele zeichnen sich durch Erinnerungen an (nicht nur) seine Kindheit oder aktuellen Beispielen aus Politik und Zeitgeschehen aus und lassen die in diesem Zusammenhang „gezeichneten“ Bilder klar vor Augen erscheinen – mit einem Wort: lesenswert!


Oft täuschen wir uns, werden getäuscht und sind enttäuscht. Gegen manche dieser Enttäuschungen gibt es eine Strafnorm: Betrug. Doch wie wirkt sie – und wann?

1. Dezember 2015, 17:38 Uhr

Nach den Aufregungen der letzten Wochen, liebe Leser, heute einmal wieder etwas aus dem Schatzkästlein des halbwegs gesicherten Wissens. Betrug! Das kennt jeder, das weiß jeder, meinen Sie. Ich sage Ihnen: Es gibt das Unerforschte auch hier. Mehr als uns lieb ist.
Ein Überblick

Der Paragraf 263 des Strafgesetzbuchs (StGB) lautet (auszugsweise):

Absatz 1: Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Absatz 2: Der Versuch ist strafbar.

Absatz 3: In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren…

Den Rest können wir hier einmal beiseite lassen, er besteht aus symbolischen „Wichtig, Wichtig!“ – Absätzen und eher technischen Folge-Anordnungen. Zur „Untreue“ (Paragraf 266 StGB) kommen wir später.

Der Wortlaut des Betrugs-Tatbestands ist nicht ganz einfach, lohnt aber Ihrer Mühewaltung. Er unterscheidet letztlich zwei Tathandlungen: Das Erregen und das Unterhalten eines Irrtums. Beides kann geschehen durch drei Handlungsvarianten: „Vorspiegeln falscher Tatsachen“, „Entstellung wahrer Tatsachen“ oder „Unterdrücken wahrer Tatsachen“. Dazu kommt noch, obwohl es nicht im Text des Paragrafen 263 steht, das Täuschen durch Unterlassen. Das ist die Handlungsebene.

Damit der objektive Tatbestand vollendet ist, muss eine dieser Handlungen folgenden Erfolg haben: „Beschädigung des Vermögens eines anderen“, kurz gesagt: Vermögensschaden.

Dazu noch der subjektive Tatbestand (wie Sie wissen, ist – nach Paragraf 15 StGB – regelmäßig nur „vorsätzliches“ Handeln strafbar, es sei denn, das Gesetz schreibt etwas anderes vor): In diesem Fall kommt zum allgemeinen Vorsatz noch eine besondere „Absicht“ hinzu – nämlich die, sich selbst oder einem anderen (Dritter) einen „Vermögensvorteil“ zu verschaffen. Während der Schaden wirklich eintreten muss, muss es der Vorteil nicht; insoweit reicht die bloße Absicht.

Täuschung – Irrtum – Vermögensverfügung – Schaden

Einzelheiten

Wenn Sie, liebe Leser, diesen Tatbestand nun auf Anhieb verstanden haben, ohne Jurist(in) zu sein, empfehle ich ein Jurastudium im Schnelldurchgang wegen Genialität. Ich meine damit: Wenn Sie vorerst nur sehr wenig verstanden haben, liegen Sie ziemlich richtig. Über den Tatbestand des Betrugs sind in den vergangenen 250 Jahren so viele Bücher und Aufsätze geschrieben worden, dass Sie unmöglich in den nächsten zehn Jahren alles lesen können, wenn Ihnen Ihre sonstigen Hobbies noch etwas wert sind. Sie müssen sich also auf das eingedampft Unabdingbare konzentrieren. Es wird Sie trösten, dass dies auch 90 Prozent aller Strafjuristen tun und selbst der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht noch nicht endgültig klären konnten, was uns die Worte des Paragrafen 263 letzten Endes sagen sollen. Unser Gesetzgeber, einem geblendeten Uhu gleich, hockt derweil auf einem dicken Ast über der Szene, blickt hierhin und dorthin, gründet ein Arbeitsgrüppchen oder ein Kommissiönchen, wundert sich (soweit er zu kollektiven Emotionen in der Lage ist), und denkt: Wie gut, dass mich das alles nichts angeht!

Ich halte mich hier an den Rahmen des Üblichen und (fast) Unbestrittenen. Danach beschreibt der objektive („äußere“) Tatbestand des Betrugs vier Stufen: Täuschung – Irrtum – Vermögensverfügung – Schaden. Sie werden vielleicht einwenden, dass die Stufen „Täuschung“ und „Vermögensverfügung“ im Wortlaut nicht vorkommen. Stimmt. Sie sind aber legitime Kinder der „Auslegung“: Wo ein „Irrtum“ etwa mittels „Vorspiegelung“ erreicht wird, darf man diese Handlung „Täuschung“ nennen. Das zweite ungeschriebene Merkmal ist schwieriger, da es ein Verständnis des Ablaufs voraussetzt: O (Opfer) wird von T (Täter) getäuscht, und durch einen Irrtum des O erlangt T einen Vorteil, der einem Schaden bei O entspricht. Komplizierter wird es noch dadurch, dass auf beiden Seiten weitere Personen, also „Dritte“, beteiligt sein können. Ein Beispiel: A, ein Angestellter des B, täuscht C, einen Angestellten des D, der aufgrund des so erzeugten Irrtums etwas tut, was zu einem Schaden bei D und bei B zu einem Vermögensvorteil führt.

Daraus wiederum können wir entnehmen: Der „Schaden“ muss ein Schaden am „Vermögen“ sein – Körperschaden oder Seelenpein reichen nicht aus. Mit den Rätseln des Vermögensschadens befassen wir uns in der nächsten Woche. Heute gilt es, der Täuschung und dem Irrtum auf die Spur zu kommen.

Die Täuschung

F hat M betrogen. Schlimm genug. Aber falls wir über außereheliche Seelenbewegungen sprechen, tut es zwar weh, ist aber heutzutage strafrechtlich irrelevant. Anders bis Ende der 1960er Jahre: „Ehebruch“ war eine Straftat. Flankiert (noch lange darüber hinaus) vom Paragrafen 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Der schützte die Ehre des Gatten und die räumlich-gegenständliche Sphäre des Ehelebens und überhaupt fast alles, was dem Herrn des Hauses lieb und teuer war in der Zeit zwischen seinem Aufbruch zur werktätigen Schöpfung und der Rückkehr ins Kochstudio.

Hier und heute herrscht die Moderne. Es geht jetzt um den wahren Kern unseres Menschseins, also nicht um die Liebe, sondern ums Geld. Als Betrüger wird nicht bestraft, wer eine andere Person durch boshafte Lügen um ihr Lebensglück bringt, sondern wer einer natürlichen oder juristischen Person durch „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ einen Vermögensschaden zufügt. Der Mindestschaden liegt daher nicht bei einer durchweinten Minute, sondern bei einem Cent. Manche Täter übrigens haben sich darauf spezialisiert, den Seelenschmerz mit dem Vermögensverlust zu kombinieren: Heiratsschwindler zum Beispiel. Ihnen wird oft die besondere moralische Verwerflichkeit als straferhöhender Umstand vorgehalten. Ob das so richtig ist, mag zweifelhaft sein. Anders ist es mit verschuldeten „Folgen der Tat“ (beim Opfer): Verzweiflung, Verarmung, Verlust der Existenz wirken sich selbstverständlich straferhöhend aus.

Was ist „Täuschen“? h.M., unser Dauer-Informant aus der Welt der Jurisprudenz, meint: Eine unzutreffende kommunikative Aussage über Tatsachen, und hat damit Recht. Tatsachen sind Geschehnisse, Eigenschaften, Umstände, die sich in der äußeren Welt oder im Innern einer Weltsicht ereignen. Einfacher gesagt: Dass am Ort A ein Briefkasten steht, ist eine Tatsache. Dass Herr X denkt, der gelbe Schrank sei ein Briefkasten, ist auch eine Tatsache. Dass der Briefkasten besser am Ort B stehen sollte, ist keine Tatsache, sondern eine Wertung. Aber dass Herr Y denkt, der Briefkasten solle besser am Ort B stehen, ist wieder eine Tatsache. Alles, sagt h. M., was „prinzipiell“ einem „Beweis“ zugänglich ist (egal, ob sich ein solcher im Einzelfall findet), ist „Tatsache“. Der Rest ist Wertung, Beurteilung, Irgendwas.

Sie ahnen es, liebe Leser: Den deutschen Philosophen kann so ein Gestolper unmöglich befriedigen, geschweige denn auslasten. Die ganze Definition hinkt atemlos einem Wirklichkeitsbild nach, das die Wahrheit aus nichts als sich selbst generiert. Für die Zwecke der praktischen Jurisprudenz (und für die Zulassung zur ewigen Seligkeit) freilich ist das schon mehr als genug: Ein Dieselmotor ist ein Dieselmotor, ein Auto ist ein Auto.

Aber was ist eine „falsche Tatsache“? Hier ist Platz und Anlass, ein wenig Mitleid mit dem deutschen Juristen zu haben. Selbstverständlich ahnt er, dass eine Tatsache, die „falsch“ ist, in Wirklichkeit gar keine Tatsache, sondern nur deren unzutreffende Behauptung ist, also weniger als ein Nichts. Aber er möchte unbedingt so tun, als sei er ganz nah am Allzumenschlichen; und außerdem meint er es gut.

Eine „falsche Tatsache“ ist also nicht etwa, dass die Volkswagen AG Millionen von Kunden getäuscht hat. Dies ist vielmehr eine wahre Tatsache. Eine wahre Tatsache ist auch, dass Arjen Robben letzten Endes immer links vorbeigeht. Falsch wäre aber die Tatsache, dass das bei Will „Ente“ Lippens auch so war. Eine falsche Tatsache ist, dass Frauke Petry und Lutz Bachmann beabsichtigen, am nächsten Tag der Sachsen ihre Verlobung bekannt zu geben. Eine wahre Tatsache ist, dass es Menschen gibt, die das angemessen fänden.

Wie geht das Täuschen? Da lacht der ZEIT-Leser: Will der Kolumnist uns lehren, wie Atmen geht? Das heißt: Man weiß es im Grundsatz schon, denn das Leben ist hart und hat gar manchen zum Äußersten getrieben, also zur Notfalls-Notlüge: Ja!, dieses gebrauchte Auto ist unfallfrei! Nein!, mir sind keinerlei Mängel an dieser Wohnung bekannt! Sicher!, mein Arbeitgeber hat mir zugesagt, dass ich ab nächsten Ersten befördert werde und das doppelte Einkommen erhalte! Manche Menschen erleben ihr halbes Leben im Aggregatzustand der „falschen Tatsache“. Wenn sie Glück haben, spielt sich das bloß im Bereich von „elite-Partner“ ab. Mit etwas weniger Glück als notorischer Online-Besteller oder Vermögensberater.

Die meisten Täuschungen erfolgen durch ausdrückliche Erklärung: Diese kostbare Vase, verehrte Hausratversicherung, ist durch einen plötzlichen Windstoß zu Boden geweht worden („Vorspiegeln falscher Tatsachen“). Nein, von einem Vorschaden ist mir nicht das Leiseste bekannt („Unterdrücken wahrer Tatsachen“). Es gibt aber auch Erklärungen ohne Worte, so genannte „schlüssige“ (konkludente) Äußerungen: „Pizza Siciliana, bitte, und ein Bier!“ bedeutet nicht nur: Das will ich haben, sondern auch: Das werde ich bezahlen.

Ein Sonderfall ist das Täuschen durch Unterlassen. Paragraf 13 des Strafgesetzbuchs sagt uns dazu ganz allgemein, dass man eine „Rechtspflicht zum Handeln“ haben muss, bevor man wegen bloßen Nichtstuns bestraft werden kann. Wo kämen wir auch sonst hin: 75 Millionen deutsche Schlaumeier müssten all jene, die sie für weniger informiert halten (also alle), permanent auf alles hinweisen. Das hielte das beste Internet nicht aus; und alsbald wären 98 Prozent der arisch-deutschen Bevölkerung wegen Unterlassens der Aufklärung im Knast. Dann müssten Millionen von Syrern aus Mazedonien einspringen und vertretungsweise die Abgaswerte bei VW fälschen und die Suppe für die Inhaftierten mit Cumin und Knoblauch abschmecken. Das wäre kein Zustand und kann auch keine Lösung sein. Deshalb braucht man eine Obergrenze für die Anzahl verfolgbarer Straftaten.
Der Irrtum, der siamesische Zwilling der Täuschung

Rechtspflicht zur Aufklärung: Sehr wichtig! Wenn Du, deutscher Gebrauchtwagenhändler, einen 1999er Golf Diesel an eine Sozialpädagogin aus Mainz-Kastell für 5.000 Euro verticken willst, musst Du ihr sagen, dass das Teil nach einem Komplettschaden „neu aufgebaut“ wurde, dass der fünfte Gang nicht mehr reingeht und dass die Seitenschweller dreimal geschweißt sind. Und Du, Immobilien-Spezialist für Residenzen: Du musst dem solventen Interessenten unbedingt verraten, dass die Fußbodenheizung schon seit zehn Jahren defekt ist und die Mauern voller Asbest stecken.

Du aber, Fleischereifachverkäuferin, musst der Hausfrau nicht sagen, dass Fleischwurst nicht aus Fleisch, sondern aus gesättigten Fettsäuren mit Geschmacksverstärkern besteht. Und Du, Apothekerin des Vertrauens, musst mir bei der kostenlosen Fachberatung nicht verraten, dass es nicht den geringsten empirischen Anhaltspunkt dafür gibt, dass das Mittel für 19 Euro wirklich gegen das Altern, das Sterben oder wenigstens die Erkältung hilft. Und so weiter. Sie sehen: Das Täuschen ist nicht allein eine hoffnungsvolle, sondern auch eine anstrengende, labyrinthische und intellektuell anspruchsvolle Tätigkeit. Dem Kolumnisten ist es schwer vorstellbar, wie man daraus einen ernsthaften Beruf machen und diesem in vollem Bewusstsein und ungetrübter Schuldfähigkeit (siehe Kolumne vergangener Woche!) sein Leben widmen mag. Andere sehen dies anders und haben auf ihre Weise vermutlich auch irgendwie Recht.

Der Irrtum

Nun, da das geklärt ist, wenden wir uns dem Irrtum zu, jenem siamesischen Zwilling der Täuschung. Schon die Logik sagt uns, dass er zwischen „Täuschungshandlung“ und „Vermögensverfügung“ liegen und sich nicht auf der Seite des Täters, sondern der des Opfers ereignen muss. „Irrtum“, mit anderen Worten, ist das Spiegelbild der Täuschung, und zugleich der Grund für jegliche „Verfügung“, die zum Schaden führen kann.

„Bitte liefern Sie“, schreibt Hartz-IV-Empfänger A an ein ortsansässiges Autohaus, „schnellstmöglich gegen Rechnung einen abgasarmen Porsche 911 C4 Cabrio, neu, an meine oben genannte Adresse“. Wie Sie aus dem voran stehenden Abschnitt wissen, liebe Leser, ist diese Bestellung hart an und vermutlich bereits jenseits der Grenze der Strafbarkeit. Denn: Wer bestellt, behauptet („Tatsache“!), dass er zahlen will und kann. Das ist in unserem Beispielsfall bedauerlicherweise fraglich. Sprich: Konkludente Täuschung durch „Vorspiegeln“.

Empfänger: „Autohaus“ – wer soll das sein? Nehmen wir an: Eine GmbH. Sie hat einen geschäftsführenden Gesellschafter und möglichst wenig Angestellte (dieswöchiger Filmtipp: „Cadillac Man“, 1990, mit Fran Drescher). Damit sich auf dieser Seite der Tragödie etwas ereignen kann, was nach „Rechtsgutsverletzung“ aussieht, müssen zwei Dinge geschehen: „Autohaus GmbH“ muss auf die Täuschung von A hereinfallen und deshalb (Kausalität!) einen echten Porsche 911 C 4 Cabrio irgendwie an ihn oder in seinem Auftrag an eine dritte Person herausrücken, ohne den knapp kalkulierten Kaufpreis zu erhalten.

Vor dem Herausrücken steht der Irrtum, Spiegel der Täuschung. Also ihr voller Erfolg, wenn es sich um Menschliches dreht, aber nur ein Zwischenerfolg, wenn es um das Knochenmark des wirtschaftenden Menschen geht, also das Vermögen.

Wer kann sich „irren“? Was ist überhaupt „Irrtum“? Irrtum im Sinn des Paragrafen 263 ist eine subjektive Fehlvorstellung über Tatsachen, die aufgrund einer Täuschungshandlung aufseiten des Erklärungsempfängers entsteht. Dem „Erklärungsempfänger“ werden alle Personen zugerechnet, die in seinem Auftrag und/oder Einverständnis Erklärungen Dritter entgegennehmen und weiter-„verarbeiten“. Wichtig aber ist: „Irren“ können nur Menschen. Maschinen machen Fehler; Programme sind falsch programmiert; Steine und Bäume irren nicht; bei Tieren weiß man das nicht so genau. Unser Strafgesetz unterscheidet daher feinsinnig zwischen falschen Ergebnissen durch richtige Maschinenfunktionen aufgrund der „Eingabe falscher Daten“ (Paragraf 263a) und Vermögensverfügungen aufgrund eines täuschungsbedingten Irrtums (Paragraf 263 StGB).

Das heißt aber auch: Wo kein lebendiger Mensch sich „Gedanken macht“, da ist auch kein „Irrtum“ möglich. Diese Erkenntnis ist überall da wichtig, wo große Massen von Informationen routinemäßig bearbeitet werden. Beispiel: Buchhaltung eines mittelgroßen Betriebs. Hier gehen täglich vielleicht 100 Buchungsaufträge bei einer viel beschäftigten Buchhaltungs-Person ein. Was „denkt“ sie dabei? Sie prüft, was zu prüfen ist: Kontostelle richtig? Autorisierung? Plausibilität? Ende. Die inhaltliche Berechtigung der Anweisung kann (und soll) sie in der Regel gar nicht prüfen. Sollte diese also auf einer Täuschung beruhen: Die Buchhalterin hat nicht „geirrt“. Man muss sich auf die Suche nach einem anderen lebenden Menschen machen, der auf die Täuschung hereingefallen ist und aufgrund eines Irrtums den Auszahlungsprozess in Gang gesetzt hat, indem er den Irrtum im internen Geschäftsauflauf quasi „weiterreichte“.

Das Antäuschen liegt im Wesen des Spiels

Der Irrtumsinhalt

Hätte es damit sein Bewenden, wäre der Tatbestand einigermaßen überschaubar. Nun aber kommt das ganze Universum der Lebens- und Geschäftswelten und auch der Gewohnheiten zum Einsatz. Denn: Wäre ich ein Erklärungs-Empfänger, und wäre ich im Ergebnis „enttäuscht“, so wäre nichts leichter, als jegliche Enttäuschung über die Geld-vermittelten Kontakte des Lebens im Nachhinein für Straftaten und mich selbst zum armen (entschädigungsverdienten) Opfer zu erklären: Pullover, die kratzen. Wohnungen mit 5 Quadratmetern Fläche weniger als bezahlt. Arzneimittel ohne Effekt. Urlaube auf Baustellen. Meere ohne Strand. Gourmet-Tiger Prawns aus Fäkalien-Aquakultur, Velvet Underground ohne Velvet. Die Welt ist voll von bitteren Enttäuschungen über die Versprechungen derer, die nichts wollten als unser Geld, und denen wir vertrauten, weil wir hofften, sie seien unsere Freunde und so gute Menschen wie wir selbst.

Ja gut, so einfach ist es nun auch wieder nicht, sagen der Kaiser und die Deutsche Fußballiga: Das Antäuschen liegt im Wesen des Spiels, und wer will, dass elf Freunde im Gesamtwert von 350 Millionen Euro die Händchen zum Winken in die Fankurve erheben, muss schon irgendwie damit rechnen, dass manche Sachen auch mal vorher vertraulich durchgesprochen werden. Und auch den Weltrekord-Freunden jeder Art, ist, trotz journalistischer Dauerberieselung mit so genannten Hoffnungen auf Neuanfang, klar: Kraft auf den Teller, Knorr auf den Tisch – wer glaubt denn sowas?

Wir sprechen über einen „Empfängerhorizont“. Der aufgeklärte Muscle-Shirt-Träger des 21. Jahrhunderts ist nicht halb so dumm, wie er tut, wenn es für das Ergebnis seiner Beschränktheit Schadensersatz geben tun könnte. Er weiß zum Beispiel in Wahrheit alles über Gebrauchtwagen mit ausgespachtelten Kotflügeln, über chinesische Elektrogeräte mit Wackelkontakten und über MDF-Platten dritter Wahl. Seine Gattin kennt den Unterschied zwischen Botox und Bofrost ganz genau. Gleichwohl sind beide – schon für ein kleines Entgelt der TV-Redaktion Konsumenten zu Tode betrogen – zum Ausstoß echter salzhaltiger Tränen bereit, wenn ein Lecker-Bäcker ihnen für 9 Cent das Stück sieben Brötchen verkauft hat, welche die Stiftung Warentest anschließend als Schweinefutter hat durchfallen lassen.

Das Strafrecht, das ja nicht die Welt erschafft, sondern bloß widerspiegelt, muss mit solchen und auch etwas komplizierteren Beispielen umgehen. In die Auslegung und Anwendung von Tatbeständen des Paragrafen 263 integriert es daher jede Menge so genannter „normativer“, also wertender, inhaltlicher, auf „Gerechtigkeit“, Empirie, Vorstellungen, Politik bezogener Elemente. Das gilt für das Tatbestandselement der „Täuschung“ ebenso wie für das des „Irrtums“. Im Alltagsleben bedeutet dies, dass die Praxis des Paragrafen 263 fragt: Wer „darf“ sich überhaupt irren? Wer „muss“ was wissen? Was ist als allgemeines Wissen vorauszusetzen? Ist man „betrogen“ oder nur dumm, wenn man per Nachnahme ein Wundermittel gegen Krebs oder einen Gummianzug gegen Adipositas erwirbt? Sind Geldanleger, die sich eine jährliche Garantieverzinsung von 25 Prozent versprechen lassen, arme getäuschte Opfer oder bereits halbe Mittäter eines Schneeballsystems? Was muss der Staat durch Strafrecht schützen? Und was ist „Schicksal“, Doofheit, Pech oder böser Wille?

Die Schwierigkeiten der Anwendung von Strafvorschriften wie Betrug und Untreue kommen also mitnichten aus der bloßen Unfähigkeit von Juristen, sich „alltagstauglich“ und „klar“ zu äußern. Das Gegenteil ist richtig: Juristen versuchen, in ihren Berufen, in das Chaos der Lebenswelten und der Streitereien ein Minimum an (begrifflicher und praktischer) Ordnung zu bringen.