Hier zunächst die Strafvorschrift, Abs.4 der Vorschrift kommt bei der Nötigung im Straßenverkehr praktisch nicht vor:

§ 240 StGB (Nötigung im Straßenverkehr)

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.


Wer einmal (!) in Italien oder in der Türkei mit seinem eigenen Fahrzeug oder einem Mietwagen am Straßenverkehr teilgenommen hat, wird sich ernsthaft die Frage stellen, ob dort nur Verbrecher und Straftäter unterwegs sind. Dort gehört es zum normalen Fahrverhalten, was hierzulande in einem Ausmaß kriminalisiert wird, dass ich dem schon seit langem nicht mehr das geringste rechtspolitische Verständnis entgegen bringen kann. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrfach mit dieser Fragestellung zu befassen gehabt,

BVerfG · Beschluss vom 29. März 2007 · Az. 2 BvR 932/06Nötigung im Straßenverkehr durch dichtes Auffahren im Straßenverkehr unter Einsatz von Signalhorn und Lichthupe innerhalb von Ortschaften (Prüfungsanforderungen; Gewaltbegriff: Erfordernis körperlicher Kraftentfaltung und körperlichen Zwanges, Angst)

Immer öfter stellt man sich auch die Frage, ob Strafrichter nur in öffentlichen Verkehrsmitteln oder lediglich sonntags zu einer Oldtimer-Ausfahrt mit einem alten Fiat Cabriolet oder Volvo Amazon unterwegs sind. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass der Zusammenhang zwischen der völlig überzogenen Kriminalisierung von Autofahrern einerseits und dem immer weiter zunehmendem Unwesen selbst ernannter Hilfssheriffs vornehmlich auf deutschen Autobahnen nicht erkannt wird. Kilometerlanges Verweilen auf der linken Spur, obwohl auf der rechten Spur nicht ein Auto ersichtlich ist, stellt den nachfolgenden Verkehr dann vor die „Wahl“, entweder verbotenerweise rechts zu überholen oder doch lieber höflich darauf aufmerksam zu machen, dass man gerne vor Mitternacht zuhause sein möchte. Ja, dazu muss man dann auch mal etwas dichter auffahren, damit der Vordermann überhaupt merkt, dass man schneller ist. Ja, manchmal ist es dazu auch erforderlich, einmal kurz die Lichthupe zu betätigen. Und schon bewegt man sich im Bereich der Nötigung im Straßenverkehr.

Es geht noch weiter: Hat man dann die von der Strafandrohung her „richtige“ Wahl getroffen, den Penner rechts zu überholen, zieht der natürlich auch nach rechts herüber, weil er dich ja vorher bereits genüsslich im Rückspiegel beobachtet hat und nur darauf gewartet hat, dass Du „die Nerven verlierst“ und ihn verbotswidrig rechts überholst. In solchen Situationen kommt es vor, dass Du Täter (!) bis auf den Seitenstreifen abgedrängt wirst und die wildesten Flüche ausstößt. Wenn Du Pech hast, fängst Du Dir eine Anzeige und hast 0,0 Chance, dem Strafverfahren zu entgehen, weil Du alleine im Auto warst und Mutti auf dem Beifahrersitz des Penners dem Strafrichter mit zitternder Stimme und Tränen mit echtem Salzgeschmack als Zeugin ihre ach so furchtbare Angst schildert. Die Wahrheit spielt da nie eine Rolle, nur die Beweisbarkeit des Geschehens.

Versucht man hingegen, sich regelkonform zu verhalten, also nicht rechts zu überholen, läuft man Gefahr, dass der Vordermann – wir erinnern uns, er hat uns ja ständig im Rückspiegel beobachtet – plötzlich eine Vollbremsung hinlegt, weil er das ja darf, so quasi in Notwehr handelt, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von hinten durch erschreckend dichtes Auffahren abzuwehren. Da der Täter (!) ja mit solcherart Verhalten rechnet, da er sich ja schon länger auf deutschen Autobahnen bewegt, nutzt er diese Gelegenheit der plötzlichen Verzögerung, um doch rechts vorbei zu fahren. Das ist dann erlaubt, weil es sich um ein Ausweichmanöver handelt, um einen Unfall zu vermeiden.

Alles erfunden? Nein, tägliche Praxis in deutschen Gerichten. Nahezu 100% (!) derartiger Strafverfahren wird auf Betreiben der Hilfssheriffs eingeleitet. Erfreulicherweise ist die Polizei in der Regel gar nicht amused über diese Art der unwillkommenen Hilfeleistung. Die Staatsanwaltschaft kann den Anzeigeerstatter allerdings leider nicht auf den Privatklageweg verweisen, weil es sich ja bei der Nötigung um ein Offizialdelikt handelt, welches von Amts wegen verfolgt werden muss. Rechtspolitisch muss hier alsbald eine Wende eingeleitet werden, denn es ist nicht einzusehen, aus welchem Grund derartige Konflikte anders behandelt werden sollen als beispielsweise der Hausfriedensbruch, die Beleidigung oder die Verletzung des Briefgeheimnisses, sämtlich Delikte, die aus dem unmittelbaren Mit- bzw. Gegeneinander der betroffenen Parteien herrühren. Selbst die einfache Körperverletzung kann auf den Privatklageweg verwiesen werden.