Nachfolgend ein Beitrag vom 3.2.2017 von Itzel, jurisPR-BGHZivilR 3/2017 Anm. 4
Leitsätze
1. Die im Zusammenhang mit der Überprüfung von im Ermittlungsverfahren getroffenen staatsanwaltschaftlichen beziehungsweise richterlichen Maßnahmen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht, entwickelten Grundsätze zur Vertretbarkeit der Maßnahme gelten auch für die Beurteilung von Ansprüchen aus enteignungsgleichem Eingriff. Ist eine solche Ermittlungshandlung vertretbar, entfällt die Rechtswidrigkeit des Eingriffs als Voraussetzung einer Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff (Bestätigung des Senatsurt. v. 15.05.1997 – III ZR 46/96 – VersR 1997, 1363).
2. Bei Geltendmachung eines Anspruchs aus enteignendem Eingriff ist das Vorliegen eines Sonderopfers der von der Beschlagnahme eines Presseerzeugnisses betroffenen Kapitalgesellschaft regelmäßig zu verneinen, wenn das Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden durch ein bewusst riskantes Verhalten eines Gesellschaftsorgans veranlasst worden ist (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 14.02.1952 – III ZR 233/51 – BGHZ 5, 144 und vom 14.03.2013 – III ZR 253/12 – BGHZ 197, 43).
A. Problemstellung
Die (Rück-)Abwicklung der finanziellen Folgen von Ermittlungsmaßnahmen, angeordnet von Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei (Durchsuchungs-, Beschlagnahmebeschlüsse usw.), führt zum einen in ganz unterschiedliche gesetzliche Regelungen (vgl. nur StrEG, § 839 BGB, enteignungsgleicher, enteignender Eingriff, EMRK) und ist oft mit nicht wenigen rechtlich recht anspruchsvollen Haftungsfragen verbunden. Der BGH konnte sich im vorliegenden Fall auf die Prüfung von Amtshaftungsansprüchen und einer Entschädigung aus enteignungsgleichem bzw. enteignendem Eingriff beschränken, was gleichwohl bei dem zu entscheidenden Sachverhalt zu nicht wenigen dogmatisch komplexen Frage- und rechtlichen Weichenstellungen führte. Hier hat der BGH überzeugende Lösungen gefunden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH hat das Bestehen von Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen bei der Beschlagnahme von Presseerzeugnissen, der eine vertretbare Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen durch die Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsrichter zugrunde liegt, verneint.
Der Kläger ist geschäftsführender Gesellschafter eines in Großbritannien ansässigen Presseunternehmens. Er macht gegen das beklagte Land aus eigenem und abgetretenem Recht Ersatzansprüche i.H.v. 2.634.677,52 Euro im Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Presseerzeugnissen geltend. Das Unternehmen vertrieb in Deutschland ab Januar 2009 das wöchentlich erscheinende Journal „Zeitungszeugen“, dessen Herausgeber der Kläger ist und das sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und der damaligen Presselandschaft befasste. Abdrucke von NS-Zeitungsausgaben und NS-Plakaten waren in einen vierseitigen Zeitungsmantel eingelegt, der (kurze) historische Abhandlungen zu den jeweiligen Zeitungsausgaben enthielt.
Die Staatsanwaltschaft leitete am 23.01.2009 ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) und Verstößen gegen das Urheberrecht (§§ 106, 109 UrhG) ein und beantragte beim Amtsgericht den Erlass eines Beschlagnahmebeschlusses. Dieser wurde noch am selben Tag erlassen, wobei die Beschlagnahme auf die Beilagen „Völkischer Beobachter“ vom 01.03.1933 und das NS-Propagandaplakat „Der Reichstag in Flammen“ beschränkt wurde. In der Folgezeit wurden bundesweit circa 12.000 vollständige Exemplare der Ausgabe 2/2009 des Journals beschlagnahmt.
Auf die Beschwerde des Klägers hob die Staatsschutzkammer des Landgerichts die Beschlagnahmeanordnung auf, da die durchgeführten Ermittlungen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne eines Anfangsverdachts für ein strafbares Verhalten des Klägers ergeben hätten. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde sodann gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Das Landgericht hatte dem Kläger – gestützt auf einen an ihn abgetretenen Anspruch des Unternehmens aus enteignendem Eingriff – eine Entschädigung dem Grunde nach zugesprochen. Die dagegen gerichteten Berufungen des Klägers und des Beklagten waren erfolglos. Das Oberlandesgericht hatte lediglich den Tenor des erstinstanzlichen Urteils dahingehend abgeändert, dass die dem Kläger dem Grunde nach zugesprochene Entschädigung auf enteignungsgleichem Eingriff aus abgetretenem Recht der Albertas Ltd. beruhe. Im Übrigen hatte es die Klage hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen sowie aus Amtspflichtverletzung, Aufopferung und enteignendem Eingriff abgewiesen. Mit seiner zugelassenen Revision möchte der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen.
Der BGH hat auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass der Kläger weder aus eigenem noch abgetretenem Recht einen Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung hat.
Nach Auffassung des BGH haben sich Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter bei Beantragung bzw. Erlass der Beschlagnahmeanordnung nicht amtspflichtwidrig (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG) verhalten. Im Ermittlungsverfahren getroffene staatsanwaltschaftliche und richterliche Maßnahmen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers bestehe (z.B. Haftbefehle, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen), seien im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen. Die Vertretbarkeit dürfe nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich sei. Nach diesen Maßgaben sei die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters – auch unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahmeanordnung – vertretbar gewesen (wird in Rn. 14 ff. näher ausgeführt).
Die im Zusammenhang mit der Überprüfung von staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren entwickelten Grundsätze zur Vertretbarkeit der Maßnahme würden auch für die Beurteilung von Ansprüchen aus enteignungsgleichem Eingriff gelten. Dies bedeute im vorliegenden Fall, dass die Bejahung einer vertretbaren Maßnahme nicht nur dazu führe, dass eine Amtspflichtverletzung (bereits auf der Tatbestandsebene) entfällt, sondern auch dazu, dass die Rechtswidrigkeit des Eingriffs als Voraussetzung einer Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff zu verneinen sei.
Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff scheide ebenfalls aus, da das Presseunternehmen durch den Vollzug der Beschlagnahmeanordnung kein unzumutbares Sonderopfer erlitten habe. Das Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden sei durch das riskante, insoweit provozierende Verhalten des Klägers (geschäftsführender Gesellschafter), das dem Presseunternehmen zuzurechnen sei, veranlasst worden.
C. Kontext der Entscheidung
Der BGH setzt zu allen vorliegend entschiedenen Rechtsfragen seine bisherige Rechtsprechung konsequent fort. Der auf Vertretbarkeit beschränkte Prüfungsumfang bei Amtshandlungen im strafrechtlichen Ermittlungsstadium findet Bestätigung. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der jeweilige Bezugszeitpunkt für die Prüfung der Amtspflichtwidrigkeit bzw. auch der Rechtswidrigkeit. So wurde zwar durch den Beschluss der Staatsschutzkammer des Landgerichts etwa drei Monate nach Erlass die Beschlagnahmeanordnung aufgehoben und später dann auch das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Jedoch hat das Landgericht auf Grundlage der im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegenden rechtlichen und tatsächlichen Situation entschieden, mithin keine Aussage über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des vorangegangenen strafrechtlichen Vorgehens getroffen (Rn. 18). Damit scheidet auch eine Bindungswirkung aus, und der BGH konnte autonom die Entscheidung des Berufungsgerichts zur angenommenen Vertretbarkeit der Beschlagnahme prüfen und diese gleichfalls bejahen. Mit der Prüfung der Vertretbarkeit auf der (objektiven) Tatbestandsebene (Amtspflichtwidrigkeit, Rechtswidrigkeit) ist dann auch vorgezeichnet, dass Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff ausscheiden, da es gerade an einem rechtswidrigen Handeln fehlt (Rn. 17, 19 ff.). Insoweit werden auch Wertungswidersprüche vermieden. Hier ist aber darauf hinzuweisen, dass Amtspflichtwidrigkeit und Rechtswidrigkeit nicht in allen Fällen deckungsgleich sein müssen (vgl. Fälle der rechtswidrigen Weisung – der angewiesene Beamte handelt amtspflichtgemäß).
In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung schließt der BGH dann noch Ansprüche aus enteignendem Eingriff aus (Rn. 25 f.), weil es infolge „Tatprovokation“ durch den Geschädigten an einem entschädigungspflichtigen Sonderopfer fehlt (BGH, Urt. v. 14.03.2013 – III ZR 253/12 – BGHZ 197, 43, sowie Itzel/Schwall, Verfahrens- und Prozessrecht in Amts-, Staatshaftungs- und Entschädigungsverfahren, Rn. 54). Auf den weiteren Gesichtspunkt, dass der rechtswidrige Zustand bei einem enteignenden Eingriff regelmäßig nicht das Ziel der Maßnahme ist, sondern sich meist als (unbeabsichtigte) Nebenfolge darstellt, was im vorliegenden Fall (Beschlagnahme war das Ziel der Maßnahme) nicht gegeben war, geht der BGH in seiner Entscheidung nicht ein. Auch dies hätte die Anspruchsablehnung getragen.
Nach allem hat der BGH die dogmatischen Grundlagen und Weichenstellungen bei der Bewertung strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen bestätigt und argumentativ verstärkt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Für Ermittlungsbehörden wie für Strafgerichte wird es anzuraten sein, möglichst umfassend zu dokumentieren, aus welchen tatsächlichen Gründen eine eingreifende Maßnahme angeordnet wird, damit die „Vertretbarkeit“ nachträglich überprüft werden kann, auch wenn die Beweislast für eine „Unvertretbarkeit“ bei dem Anspruchsteller (Kläger) liegt.
Aus dem BGH-Urteil ergibt sich aber auch, dass die strafrechtliche Entscheidung zur Entschädigung nach StrEG wohl nicht bis zum Ende durchdacht war (Rn. 5, 8, 12). Der Bescheid wurde zwar aufgehoben, die Entschädigungszahlung i.H.v. 28.744 Euro konnte aber wohl nicht mit Erfolg zurückgefordert werden. Hier wird sicherlich zu beachten sein, dass die Ermittlungsverfahren sich nur gegen natürliche Personen (und nicht gegen juristische Personen) richten und das durch Beschlagnahme etc. betroffene Eigentum durchaus einer davon zu unterscheidenden juristischen Person wie im vorliegenden Fall zuzuordnen sein kann.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Rückabwicklungsproblematik nach vertretbar angeordneten und durchgeführten strafrechtlichen (Ermittlungs-)Maßnahmen, die später dann als rechtswidrig aufgehoben wurden, dürfte mit dieser BGH-Entscheidung weiter und intensiv geklärt sein.
Die vom Beschluss nicht gedeckten – und damit rechtswidrigen – überschießenden Beschlagnahmemaßnahmen (auch der Zeitungsmäntel) führten im vorliegenden Fall zu keinem zusätzlichen Schaden (Rn. 16) und wirkten sich daher nicht auf die BGH-Entscheidung aus.
Offen ist noch die Frage des generellen Drittschutzes bei Maßnahmen in Ermittlungs- und Strafverfahren (hierzu Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2. Aufl., Rn. 646). Im vorliegenden Fall spielte dies keine Rolle, da es um den Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentum ging und insoweit eindeutig eine subjektive Rechtsposition durch die Beschlagnahme beeinträchtigt war und daher Drittschutz für den Eigentümer eindeutig gegeben ist.