Nachfolgend ein Beitrag vom 11.7.2016 von Ebner, jurisPR-SteuerR 28/2016 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die nachgewiesene Kenntnis der einschlägigen Medienberichterstattung über den Ankauf einer Steuerdaten-CD kann die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige jedenfalls dann ausschließen, wenn auf der jeweiligen CD die Daten eines vom Anzeigeerstatter eingeschalteten Kreditinstituts gespeichert sind und hierüber in den Medien berichtet worden ist. Liegt es so, ist eine tatrichterliche Überzeugungsbildung möglich, der zufolge der Steuerpflichtige mit der Entdeckung seiner Straftat i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO rechnen musste.

A. Problemstellung

Es handelt sich um die erste obergerichtliche Entscheidung zu der umstrittenen Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen von einer „Tatentdeckung“ i.S.v. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ausgegangen werden kann, wenn in „den Medien“ über den Ankauf einer sog. Steuerdaten-CD „berichtet“ wird. Das OLG Schleswig bestätigt einen solchen „Sperrgrund“ für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige. Dabei dürfte es sich allerdings aufgrund der außergewöhnlichen Feststellungen der Vorinstanz zum Medienkonsum des Angeklagten und den Inhalten seiner – eigentlich streng vertraulichen – Kommunikation mit dem Steuerberater um eine „echte“ Ausnahmekonstellation handeln.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 hat sich der Angeklagte entschlossen, seine Vermögenswerte aus der Schweiz nach Deutschland zurück zu transferieren und dem Finanzamt gegenüber offenzulegen. Anfang August 2012 hat er die Konten und Geldanlagen seinem Steuerberater offenbart. Jener ging nach dem Ankauf einer ersten CD durch die Finanzbehörden in Deutschland davon aus, dass weitere Ankäufe derartiger Datensätze folgen würden. Er hat deshalb das Entdeckungsrisiko für den Angeklagten als „enorm“ eingeschätzt, dies dem Angeklagten auch mitgeteilt und ihm geraten, so schnell wie möglich die bisher noch nicht vollständigen Steuererklärungen beim Finanzamt zu berichtigen.
Bereits zuvor hatten die nordrhein-westfälischen Finanzbehörden zum Jahreswechsel 2011/2012 eine CD mit Daten von 2.500 bis 3.000 Kunden des Bankhauses Julius B. erworben, auf denen auch die Daten zur Kontoverbindung des Angeklagten gespeichert waren. Nachdem das Finanzamt Münster die den Angeklagten betreffenden Daten mit den Steuerdaten des Finanzamts Neumünster abgeglichen hatte, hat ein Mitarbeiter des Finanzamts Münster am 22.08.2012 einen Verdachtsprüfungsvermerk gefertigt. Am 23.08.2012 ist gegen den Angeklagten ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer für die Jahre 2007 bis 2010 eingeleitet worden.
Nach umfangreichen Vorarbeiten des Steuerberaters und seiner Mitarbeiter habe der Angeklagte am 06.09.2012 bei dem Finanzamt Neumünster eine Selbstanzeige abgegeben, mit der alle bisher verheimlichten Einkünfte aus den Jahren 2001 bis 2011 offengelegt worden seien. Die vom Finanzamt daraufhin geforderte Nachzahlung einschließlich der Zuschläge sei fristgerecht von dem Angeklagten beglichen worden.
Das Amtsgericht und – diesem folgend – das Landgericht haben den Angeklagten wegen Einkommensteuerhinterziehung in vier Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte hatte im Verlauf der 1990er Jahre bei mehreren Schweizer Kreditinstituten Konten und Depots eröffnet, um einen Teil seines Vermögens vor dem Zugriff Dritter zu schützen. Aus diesen ausländischen Kapitalanlagen hatte der Angeklagte teils Einkünfte und teils Verluste erzielt, die er in den Einkommensteuererklärungen 2001 bis 2011 verschwiegen hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; das Amtsgericht hat „Nr. 1“ angewendet). Aufgrund dessen ist es in den Jahren 2007 bis 2010 zu Verkürzungen der Einkommensteuer „um Beträge zwischen 4.229,58 Euro und 35.014,71 Euro“ gekommen. Außerdem war die Einkommensteuer „unter Einbezug eines zu hoch festgestellten Verlustvortrags um 110.057,11 Euro zu gering festgesetzt“ worden. Der Angeklagte habe dies, so der strafrechtliche Vorwurf, „jedenfalls billigend in Kauf“ genommen (dolus eventualis).
Das Landgericht verneinte die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige des Angeklagten unter Anwendung von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Im Hinblick auf die öffentliche Berichterstattung über den Ankauf von Datenträgern mit Datensätzen von ausländischen Kunden Schweizer Kreditinstitute traf es folgende Feststellungen:
„Im August 2012 wurde in der regionalen und überregionalen Presse immer wieder und ausführlich über den Ankauf von ‚Steuer-CD’s‘ berichtet. Einige dieser Berichte betrafen die CD mit Daten von der Bank Julius B., die zum Jahreswechsel 2011/2012 von den nordrhein-westfälischen Finanzbehörden erworben worden war. Die Bank Julius B. wurde dabei in verschiedenen Berichten namentlich genannt.
Der Angeklagte informierte sich insbesondere über die Internetseite ‚Börse.de‘ über Wirtschaftsnachrichten. Auf dieser Seite wurden am 27.08.2012 zwei Nachrichten der Deutschen Presseagentur verlinkt, in denen von einer von deutschen Behörden angekauften CD mit Kundendaten der Bank Julius B. berichtet wurde.
Der Angeklagte hatte im Jahre 2012 zur Kenntnis genommen, dass ‚Steuer-CD’s‘ mit Daten schweizerischer Banken durch deutsche Finanzbehörden angekauft wurden. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige war ihm bekannt, dass deutsche Finanzbehörden auch eine CD mit Kundendaten der Bank Julius B. erworben hatten.“
Nach Auffassung des OLG Schleswig hat das Landgericht den Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auf dieser – „nicht angegriffenen“ – Tatsachengrundlage zutreffend bejaht.
I. Die vom Angeklagten begangenen Hinterziehungstaten seien bei Abgabe der Selbstanzeige am 06.09.2012 bereits entdeckt gewesen. Bereits zuvor sei aufgrund des Datenabgleichs vom 22.08.2012 festgestellt worden, dass der Angeklagte die Bankverbindung zu dem Bankhaus Julius B. in der Schweiz nicht in seinen Einkommensteuererklärungen angegeben hatte, woraufhin am 23.08.2012 ein Steuerstrafverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet worden sei.
II. Der Angeklagte habe bei Abgabe der Selbstanzeige am 06.09.2012 unter verständiger Würdigung der Sachlage auch damit rechnen müssen, dass die Hinterziehungstaten bereits entdeckt gewesen seien.
1. Bei dem Begriff des „Rechnenmüssens“ mit einer Tatentdeckung handele es sich um eine Beweisregel zu Ungunsten des Täters. Es komme darauf an, ob der Täter aufgrund der ihm nachweislich bekannten Umstände mit der Entdeckung seiner Tat habe rechnen müssen. Dabei sei auf die individuellen Fähigkeiten des jeweiligen Täters abzustellen.
In der Literatur werde der Begriff des „Rechnenmüssens“ ganz überwiegend dahingehend verstanden, dass der Täter aufgrund der ihm bekannten Tatsachen davon ausgehen müsse, dass die Tat entdeckt sei: „Rechnenmüssen“ mit der Tatentdeckung sei anzunehmen, wenn der Täter nach den ihm bekannten Tatsachen den Schluss habe ziehen müssen, dass die Tat entdeckt sei. Aufgrund der dem Täter bekannten Umstände habe sich ihm die Tatentdeckung aufdrängen müssen. Das Landgericht sei mit Recht davon ausgegangen, dass der Begriff des „Rechnenmüssens“ weiter auszulegen sei und ein „Rechnenmüssen“ auch vorliege, wenn ein Täter aufgrund der ihm bekannten Umstände eine Tatentdeckung für durchaus möglich oder wahrscheinlich halte, auch wenn eine gewisse Unsicherheit verbleibe. Diese Auslegung entspreche dem Wortlaut der Vorschrift, stehe im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH und widerspreche – entgegen der Auffassung der Revision – nicht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers.
2. Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Angeklagte bei der Selbstanzeige mit der Entdeckung seiner Taten habe rechnen müssen. Er habe bei der Selbstanzeige davon Kenntnis gehabt, dass die Finanzbehörden in NRW eine CD mit Datensätzen von Kunden des Bankhauses Julius B. zum Jahreswechsel 2011/2012 erworben hätten. Sein Steuerberater habe ihn auf ein großes Entdeckungsrisiko hingewiesen. Jedenfalls im Hinblick auf die beim Bankhaus Julius B. erzielten Kapitaleinkünfte habe der Angeklagte bei der Selbstanzeige mit einer Tatentdeckung rechnen müssen.
Der Angeklagte habe gewusst, dass die Daten von Kunden dieser Bank an die deutschen Finanzbehörden gelangt waren. Das Risiko einer Entdeckung seiner bei dem Bankhaus Julius B. erzielten Kapitaleinkünfte habe sich über das allgemeine Entdeckungsrisiko und das gesteigerte Entdeckungsrisiko bei Ankauf eines Datensatzes eines nicht näher bekannten Bankhauses hinaus ganz erheblich verdichtet. Der Gewissheit einer Entdeckung seiner Hinterziehungstaten hätten in dieser Situation allein zwei Umstände entgegengestanden: Dass sich seine Daten nicht auf dem an die deutschen Finanzbehörden verkauften Datensatz befunden hätten oder aber – sofern dies der Fall sei – dass die Taten mangels bisherigem Datenabgleich noch nicht entdeckt gewesen seien. Beides sei in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit des Angeklagten bei Abgabe der Selbstanzeige unwahrscheinlich und eine bereits erfolgte Entdeckung damit wahrscheinlich gewesen.
In zeitlicher Hinsicht sei nach dem Kenntnisstand des Angeklagten davon auszugehen gewesen, dass der Datensatz auf der CD bereits ausgewertet gewesen sei. Da der Ankauf der Daten gerade dem Ziel gedient habe, geheim gehaltene Steuerquellen zu erschließen, sei bei einem Zeitablauf von mehr als sechs Monaten von einer zwischenzeitlichen Auswertung der auf der CD enthaltenen Daten auszugehen gewesen.
Der Angeklagte habe danach bei Abgabe der Selbstanzeige allenfalls hoffen können, dass der Datensatz keine Daten zu seiner Kontoverbindung enthalte. Diese noch verbleibende Ungewissheit stehe der Annahme eines „Rechnenmüssens“ mit der Tatentdeckung indessen nicht entgegen. Der Angeklagte habe zwar keine Kenntnis von dem Umfang des Datensatzes gehabt, der sich auf der angekauften CD befunden habe. Schon aus dem Umstand, dass die deutschen Finanzbehörden den Datenträger angekauft hätten, habe sich bei verständiger Würdigung ergeben, dass sich auf der CD ein umfangreicher Datensatz befinde. Andernfalls hätten die deutschen Behörden einen solchen Datenträger nicht erworben. Dies sei für den Angeklagten, der auf eine möglichst weitgehende Kontrolle seiner Angelegenheiten bedacht gewesen sei, auch zu erkennen gewesen, insbesondere nach dem Hinweis seines Steuerberaters auf ein hohes „Entdeckungsrisiko“. Der Angeklagte habe von einem umfangreichen Datensatz auf der CD ausgehen müssen, so dass die erhebliche Wahrscheinlichkeit bestanden habe, dass sich die Daten seiner Kontoverbindung beim Bankhaus Julius B. hierunter befanden.
3. In der Literatur werde demgegenüber angenommen, ein „Rechnenmüssen“ mit der Tatentdeckung könne auch bei medialer Berichterstattung von dem Ankauf derartiger Datensätze erst angenommen werden, wenn der Täter von dem Umfang der Datensätze auf einem angekauften Datenträger und der Anzahl der aus Deutschland stammenden Kunden, die unter Umgehung des deutschen Fiskus bei dem betreffenden Bankhaus Gelder angelegt haben, Kenntnis habe. Nur dann könne sich der Täter eine Vorstellung davon machen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass der den deutschen Behörden zugängliche Datensatz auch die Daten zu seiner Geschäftsverbindung bei dem betreffenden Bankhaus enthalte (so Schauf in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 52. Lfg., Stand Aug. 2015, § 371 AO Rn. 741; Kohler in: MünchKomm StGB, 2. Aufl., § 371 AO Rn. 281; Schöler, DStR 2015, 503, 507; Mückenberger/Iannone, NJW 2012, 3481, 3482 f.).
Dem folge der Senat nicht, weil damit die Anforderungen an ein „Rechnenmüssen“ mit der Tatentdeckung zu hoch gesetzt würden. Denn der medialen Berichterstattung würden derartige Details kaum jemals zu entnehmen sein. Bei einem Täter, der allein im Hinblick auf die Hoffnung, dass sich unter den regelmäßig umfangreichen Datensätzen seine Daten nicht befänden, ein „Rechnenmüssen“ mit der Tatentdeckung i.S.v. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu verneinen, sei mit dem Wortlaut der Vorschrift gemäß obiger Auslegung nicht zu vereinbaren. Es entspreche auch nicht der bereits erwähnten Rechtsprechung des BGH, nach der an die Annahme eines „Rechnenmüssens“ von der Tatentdeckung keine hohen Anforderungen zu stellen seien (BGH, Beschl. v. 20.05.2010 – 1 StR 577/09 Rn. 33).
Auch mit Blick auf den Sinn und Zweck des § 371 AO sei die Gewährung des Privilegs der Straffreiheit in einer solchen Konstellation nicht geboten. § 371 AO diene zum einen fiskalischen Zwecken, nämlich der Erschließung verborgener Steuerquellen; zum anderen solle eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit honoriert werden (BGH, Beschl. v. 20.05.2010 – 1 StR 577/09 Rn. 6 f.). Sofern es nach einer Tatentdeckung um das Eingreifen des Sperrgrunds nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gehe, trete der fiskalische Zweck aber in den Hintergrund, da mit der Entdeckung eine bis dahin verborgene Steuerquelle für den Fiskus bereits erschlossen sei. Der dann im Vordergrund stehende Zweck einer Honorierung der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit greife bei einem Täter, der infolge öffentlicher Berichterstattung von seiner – wahrscheinlichen – Entdeckung habe ausgehen müsse, nicht ein.

C. Kontext der Entscheidung

I. Der ausführlich begründete OLG-Beschluss, mit dem die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als „offensichtlich unbegründet“ verworfen wurde, schloss den strafjustiziellen Instanzenzug in dem zugrunde liegenden Einzelfall endgültig ab. Begonnen hatte die fachgerichtliche Aufarbeitung mit dem in der Literatur insbesondere von Verteidigerseite umfänglich rezipierten und z.T. heftig kritisierten Urteil des AG Kiel (Schöffengericht) vom 27.11.2014 (48 Ls 1/14, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14) – DStR 2015, 897, m. Anm. Beyer, NWB 2015, 2357; Dann, DStR 2015, 898; Wegner, SteuK 2015, 175; besonders eingängig Wulf, SAM 2015, 109). Dem Verwerfungsbeschluss lag indes nicht das amtsgerichtliche Urteil zugrunde. Es handelte sich nicht um ein Sprungrevisionsverfahren (§ 335 StPO), sondern um eine „reguläre“ Revision (§ 333 StPO) gegen das bis zu diesem Zeitpunkt unveröffentlicht gebliebene Urteil der (kleinen) Berufungsstrafkammer am LG Kiel vom 16.04.2015 (11 Ns 76/14). Vor diesem Hintergrund gilt es sich zuerst bewusst zu machen, dass das Berufungsgericht i.d.R. eigene Tatsachenfeststellungen treffen muss (vgl. § 324 Abs. 2 Alt. 2 StPO). Diese sind hier vom Oberlandesgericht unter I. der Beschlussgründe zusammengefasst worden, können also nicht im Einzelnen untersucht werden.
II. In der Sache trennt das Oberlandesgericht bei der Anwendung von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO im Ausgangspunkt zunächst zutreffend zwischen dem objektiven Moment des Sperrgrundes – der Tatentdeckung – und dem darauf bezogenen subjektiven Element, namentlich dem Wissen um die Tatentdeckung bzw. wenigstens einem entsprechenden „Rechnenmüssen“. Dass die vom Angeklagten begangenen Steuerstraftaten zumindest „zum Teil“ bereits „entdeckt“ waren, bedurfte in casu keiner tiefergehenden Begründung mehr. Vielmehr war dies ganz unproblematisch zu bejahen, denn hier war nach Abgleich der Inhalte der Daten-CD mit den Steuerakten (vgl. dazu Schöler, DStR 2015, 503, 504) sogar schon die Einleitung des Steuerstrafverfahrens (§ 397 AO) erfolgt (23.08.2012), bevor es überhaupt zur Abgabe einer Selbstanzeige (06.09.2012) kam (grundlegend zu den Anforderungen an die – von den strafprozessualen Verdachtsgraden entkoppelte – „Tatentdeckung“ BGH, Beschl. v. 20.05.2010 – 1 StR 577/09 – BGHSt 55, 180, unter 4.).
Nur vermeintliches „Neuland“ betritt der Schleswiger Senat zum subjektiven Element. Da eine positive Kenntnis des Angeklagten von der „Tatentdeckung“ – wie in derartigen Konstellationen wohl stets – offenkundig ausschied, war die Auslegung des Minimal-Erfordernisses des „Rechnenmüssens“ fallentscheidend. Hierzu ließ sich ebenfalls bereits dem genannten Grundlagenbeschluss des BGH vom 20.05.2010 entnehmen, dass insofern erforderlich aber auch ausreichend ist, wenn der Betroffene „aus den ihm bekannten Tatsachen … – wie jeder andere Steuerpflichtige in seiner Situation – den Schluss [hätte] ziehen müssen, dass die Tat entdeckt war“ (BGH, Beschl. v. 20.05.2010 – 1 StR 577/09, unter 4.i). Ob er dies wirklich tat, ist unerheblich, weil es sich um eine (für das Strafrecht atypische) Beweisregel zu seinen Ungunsten handelt. Dieser letztlich durch einzelfallspezifische Wertungen des Tatgerichts aufzufüllenden „Leerformel“ hat das Oberlandesgericht kaum mehr rechtliche Konturen verliehen. Denn mit seiner im Anschluss an das Landgericht gewählten Formulierung, das Merkmal des „Rechnenmüssens“ sei dergestalt auszulegen, dass es auch dann zu bejahen sei, wenn „ein Täter aufgrund der ihm bekannten Umstände eine Tatentdeckung für durchaus möglich oder wahrscheinlich hält, auch wenn eine gewisse Unsicherheit verbleibt“ (II.1.b aa des Besprechungsurteils), ist de facto nichts gewonnen. Es handelt sich lediglich um eine etwas wortreichere Umschreibung des „BGH-O-Tons“, der Steuerpflichtige hätte aufgrund der ihm bekannten Umstände den Schluss ziehen müssen, die Tat sei bereits entdeckt. Die vermeintliche „Aufweichung“, wonach dabei durchaus eine gewisse Unsicherheit verbleiben könne, ist dem Begriff des „Rechnen“-Müssens wesensimmanent.
Da es u.U. zwar kommunikations- oder gar gesellschaftswissenschaftlich interessant, praktische Belange vor Augen jedoch müßig erscheint, genauer zu eruieren, was im Einzelnen unter die – im Selbstanzeigenrecht außerhalb normativer Kategorien stehenden – Begriffe „Medien“ und „Berichterstattung“ zu fassen ist (differenzierend Beyer, NWB 2015, 2357, 2359; Fehling/Rothbächer, DStZ 2008, 821, 825, 826), gilt es nunmehr gleich ins „Herz“ des Falles vorzustoßen: den bereits eingangs hervorgehobenen außergewöhnlichen tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts. Gelingt es dem Tatrichter – wie vorliegend gleich zweimal, d.h. dem Amts- und Landgericht –, solch genaue Feststellungen zum Medienkonsum des Angeklagten, dessen Nachrichtenrezeption und – zusätzlich noch! – den Inhalten seiner Kommunikation mit dem Steuerberater bzw. zum damaligen Zeitpunkt zugleich Strafverteidiger (vgl. § 392 Abs. 1 AO) zu treffen, lässt sich einer Bejahung des Sperrgrundes der „Tatentdeckung“ kaum mehr etwas von Gewicht entgegen halten. Eine „gute“ Verteidigung muss daher weitaus früher, namentlich bereits im Ermittlungsverfahren, ansetzen und mit den ihr zur Verfügung stehenden (zulässigen) prozessualen Mitteln (insbes. konsequente Ausübung des Schweigerechts, vgl. § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO, und Nichtentbindung von Beratern von der Schweigepflicht, vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 2, 3 StPO, § 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB) darauf hinwirken, dass derartige Feststellungen nicht gelingen. Spiegelbildlich dazu müssen die Strafverfolgungsbehörden in Steuerdaten-CD-Fällen von Anfang an alles daran setzen, die Ermittlungen auch auf die Frage der Tatentdeckung i.S.v. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zu erstrecken. Dies erfordert eine Aufklärung des einschlägigen Medienkonsums mittels (auch) dahingehender Auswertung der sichergestellten Papiere (z.B. einschlägige Zeitungsausschnitte oder Notizen, freilich außerhalb der „Verteidigungsunterlagen“, vgl. Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639) bzw. der Hardware (bspw. Auswertung des Browserverlaufs – hier: URL „Börse.de“ – etc.). Denn für eine wirksame, sprich strafbefreiende und nicht „nur“ bei der Strafzumessung relevante „missglückte“, Selbstanzeige sind ausschließlich Angaben „zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart“ gefordert. Dazu gehören – auch auf Nachfrage – insbesondere nicht Angaben zur Motivation der Selbstanzeige, dem im Vorfeld stattgefundenen Medienkonsum oder den absolut geschützten Inhalten der Kommunikation mit dem Steuer- und/oder Strafrechtsberater.

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Die tatsächlichen Umstände (Anknüpfungstatsachen), aus denen das Tatgericht zweifelsfrei (in dubio pro reo!) darauf rückschließt, der konkrete Steuerpflichtige habe in seiner spezifischen Situation mit der Entdeckung „seiner“ Tat (nicht: irgend „einer“ Tat; instruktiv Schöler, DStR 2015, 503, 506) rechnen müssen, muss das Tatgericht in eigener Regie jeweils lege artis feststellen – eine gleichwie geartete „Bringschuld“ des Selbstanzeigeerstatters besteht insoweit nicht (nemo tenetur se ipsum accusare). Im Kern ist das gesamte Problemfeld „‚Tatentdeckung‘ bei Medienberichterstattung über den Ankauf einer Steuerdaten-CD?“ folglich dem revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Spektrum des § 261 StPO zuzuordnen und damit vordergründig prozessual angesiedelt. Dabei muss sich das Tatgericht bewusst sein (bzw. machen), dass es auch und gerade in diesem besonders wertungsoffenen Punkt die volle Last der ihm zugewiesenen Verantwortung trägt.
II. Mangels näherer Hinweise zur Beweissituation muss im Besprechungsfall davon ausgegangen werden, dass der dortige Angeklagte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf seinen Medienkonsum, die Rezeption der zur Kenntnis genommenen Nachrichten und die interne Kommunikation mit dem Steuerberater „mit offenen Karten“ gespielt hat. Dies hätte er weder mit Blick auf § 371 AO noch aus prozessualen Gründen tun müssen. Dass ihn diese Offenheit wegen § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO letztlich die Straffreiheit „gekostet“ hat, müsste ebenso wie eine aus sonstigen Gründen „missglückte“ Selbstanzeige bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten in die Waagschale fallen (§ 46 Abs. 1 StGB: „Verhalten nach der Tat“; vgl. z.B. LG München II, Urt. v. 13.03.2014 – W 5 KLs 68 Js 3284/13 – wistra 2015, 77, unter VII.3., „Fall Hoeneß“). Ob dem hier so war, ist nicht überliefert. Das – nicht maßgebliche (vgl. o.) – AG Kiel scheint dies a.a.O. unter II.1.3 indes nicht für ausschlaggebend erachtet zu haben.
III. Zu guter Letzt wissen die Strafverfolgungsbehörden selbst nur allzu gut, dass sie sich auch künftig nicht darauf verlassen können, dass andere Steuerdaten-CD-Betroffene gleichermaßen das bekannte Verteidigermantra „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ in sein Gegenteil verkehren werden.