Nachfolgend ein Beitrag vom 18.7.2018 von Bertlings, jurisPR-StrafR 14/2018 Anm. 3

Orientierungssatz

Zu den Begründungsanforderungen bei Annahme eines beleidigenden Sinngehalts (hier: „Flitzpiepen“)

A. Problemstellung

Die hier besprochene Entscheidung des OLG Karlsruhe setzt sich mit den Anforderungen an eine Beleidigung auseinander.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Angeklagte wurde vom AG Wiesloch wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen verurteilt. Das OLG Karlsruhe hat dieses Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das AG Wiesloch zurückverwiesen.
Das OLG moniert, die Urteilsgründe seien lückenhaft und eine Überprüfung der rechtlichen Einordnung der inkriminierten Äußerung als Beleidigung sei daher nicht möglich. Der Tatbestand der Beleidigung erfordere, dass der Täter durch die gewollte Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung einen anderen rechtswidrig in seiner Ehre angreife. Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung würden durch eine Äußerung dann zum Ausdruck gebracht, wenn nach ihrem objektiven Sinngehalt der betroffenen Person der ethische, personale oder soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen werde und dadurch ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt werde. Ob eine Kundgabe solchen Inhalts vorliege, beurteile sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Feststellung des Sachverhalts – einschließlich des Wortlauts der Äußerung eines Angeklagten – sei grundsätzlich allein Sache des Tatrichters. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein ehrverletzender Sinngehalt der Äußerung innewohne, sei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums.
Maßgeblich sei stets der Wortlaut der Äußerung. Dieser lege ihren Sinn jedoch nicht abschließend fest. Sei eine Äußerung nicht eindeutig, müsse ihr wahrer Erklärungsinhalt aus dem Zusammenhang und ihrem Zweck erforscht werden. Dabei müssten alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation berücksichtigt werden. Wolle sich ein Strafgericht unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung für die zur Bestrafung führende entscheiden, müsse es dafür besondere Gründe angeben. Das bedeute, dass es sich mit allen in Frage kommenden, insbesondere den sich aufdrängenden Deutungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen habe und in rechtsfehlerfreier Weise diejenigen ausscheiden müsse, die nicht zur Bestrafung führten.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nach Ansicht des OLG Karlsruhe in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Zum einen stütze sich das AG Wiesloch für sein Verständnis, dass der Begriff „Flitzpiepen“ als Synonym für Dummkopf, Trottel oder Depp verwendet werde und deshalb grundsätzlich als abwertende Äußerung zu verstehen sei, auf zwei Internetseiten, deren sprachwissenschaftlicher Hintergrund unklar bleibe. Zum anderen würden die vom Angeklagten vorgebrachten Belege für eine abweichende Wortbedeutung in den Urteilsgründen zwar erwähnt, aber nicht aufgezeigt und es sei nicht ersichtlich, dass der Tatrichter sich mit ihnen auseinandergesetzt hätte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei eine Auseinandersetzung mit abweichenden Bedeutungsmöglichkeiten nicht ohne weiteres entbehrlich.
Ferner rügt das OLG Karlsruhe als durchgreifenden Darlegungsmangel, dass das Amtsgericht sich für seine Deutung des sprachlichen Gehalts des Ausdrucks „Flitzpiepen“ zwar auf den konkreten Kontext der Äußerung berufe, es jedoch versäume, diesen Kontext in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise durch Wiedergabe des Inhalts der E-Mail des Angeklagten aufzuzeigen. Mangels Mitteilung der tatsächlichen Grundlagen könne daher die vom Amtsgericht vorgenommene Bewertung nicht nachvollzogen und rechtlich überprüft werden.

C. Kontext der Entscheidung

Die Beleidigung schützt die persönliche Ehre als Teil und Ausfluss der Personenwürde des Betroffenen (BGH, Urt. v. 15.03.1989 – 2 StR 662/88 – BGHSt 36, 145, 148; Valerius in: BeckOK StGB, 38. Ed. 1.5.2018 § 185 Rn. 1). Die Beleidigung eines Polizeibeamten kommt in der Praxis nicht selten vor (vgl. dazu z.B.: BVerfG, Beschl. v. 16.01.2017 – 1 BvR 1593/16 – oder LG Essen, Beschl. v. 17.04.1980 – 23 Qs 151/79).
Ob eine Äußerung einen ehrverletzenden Inhalt hat, muss durch Auslegung ermittelt werden (Zaczyk in: NK StGB, 5. Aufl. 2017 § 185 Rn. 7). Dies führt auch das OLG Karlsruhe in seiner Urteilsbegründung an. Bei der Auslegung müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden (Valerius in: BeckOK StGB, 38. Ed. 1.5.2018 § 185 Rn. 24). Maßgeblich ist das Verständnis eines durchschnittlichen Kundgabeempfängers (Valerius in: BeckOK StGB, 38. Ed. 1.5.2018 § 185 Rn. 24). Im vorliegenden Fall verweist das OLG Karlsruhe mangels ausreichender Tatsachenfeststellung zu ebendiesem Punkt an das AG Wiesloch zurück. Das LG Wiesloch hatte sich bei der vorangegangenen Entscheidung nicht mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Wortes „Flitzpiepen“ auseinandergesetzt. Dies reicht nicht, um den Anforderungen, die zur Feststellung des beleidigenden Sinngehaltes gestellt werden gerecht zu werden. Darauf, dass bei der erneuten Verhandlung insbesondere auf die unterschiedlichen Bedeutungsmöglichkeiten eingegangen werden müsse, hat auch das OLG Karlsruhe in seiner Begründung hingewiesen.
Daneben führte das OLG Karlsruhe noch an, dass ebenso eine Überprüfung zu erfolgen habe, ob die getätigte Äußerung von der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) gedeckt sei. Die Bewertung, ob der vorliegenden Äußerung ein ehrverletzender Inhalt entnommen werden kann, richtet sich demnach auch in diesem Urteil des OLG Karlsruhe nach den bekannten Maßstäben. Aufgrund der unzureichenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz kann das OLG in seinem Urteil jedoch keine rechtliche Würdigung vornehmen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Diese Entscheidung des OLG macht revisionsrechtlich eines deutlich: Die Tatgerichte müssen genauere Tatsachenfeststellungen treffen und in Bezug auf diese einen höheren Begründungsaufwand leisten.


Anmerkung: Die vorliegende Entscheidung macht erneut deutlich, welchen „herausragenden Unrechtsgehalt“ die Polizistenbeleidigung in der deutschen Rechtswirklichkeit einnimmt. Ich hatte schon hier dazu kritisch Stellung bezogen.

Bezeichnung von Polizeibeamten als „Flitzpiepen“ Beleidigung gemäß § 185 StGB?
Carsten OehlmannRechtsanwalt